Betriebsschließung: Was können Arbeitnehmer und Betriebsrat tun?
30. Mai 2022Die Transformation von Industriestandorten schreitet in Deutschland immer schneller voran. Insbesondere Rheinland/Ruhrgebiet sind in erheblichem Maße betroffen. Jetzt steht es fest. Auch der Vallourec Konzern wird seine Werke in Düsseldorf Rath und Mülheim schließen, sofern nicht noch der politische Druck zu einem Umdenken führt. Ein Stück Industriegeschichte geht damit zu Ende. Viel wichtiger aber ist, dass rund 2.400 Beschäftigte vor Ihrem beruflichen Aus stehen.
Was passiert nach dieser Entscheidung? Wie sind die Prozesse? Welche Möglichkeiten haben Arbeitnehmer:innenvertreter und Arbeitnehmer:innen jetzt noch?
1. Interessenausgleich und Sozialplan
Der Arbeitgeber hat jetzt schon angekündigt, mit dem Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan zu verhandeln. Aber was bedeutet das konkret für die Arbeitnehmer?
a. Was ist ein Interessenausgleich?
Ein Interessenausgleich wird zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat geschlossen. Er beschreibt genau, welche betrieblichen Maßnahmen und Betriebsänderungen der Arbeitgeber beabsichtigt, über welchen Zeitraum sie gehen sollen. Inhalt des Interessenausgleichs ist, ob, wann und in welcher Form eine geplante Betriebsänderung durchgeführt wird. Der Betriebsrat wird hierbei versuchen, die geplante Betriebsänderung so weit wie möglich abzumildern oder (in Teilen) zu verhindern.
b. Was ist eine Namensliste?
Im Interessenausgleich wird auch beschrieben, welche Beschäftigte von der betrieblichen Maßnahme betroffen sind. Die Namen dieser Beschäftigten werden als Anhang zum Interessenausgleich beigefügt (Namensliste). Wenn Beschäftigte, die auf der Namensliste aufgrund der Betriebsänderung gekündigt werden, können sie sich in einem Kündigungsschutzprozess nicht mehr ohne weiteres darauf berufen, dass keine betrieblich zwingende Gründe für die Kündigung vorliegen, dies wird nämlich aufgrund der Namensliste vermutet. Die Namensliste als solches kann auch nur noch daraufhin überprüft werden, ob sie schwere Fehler hat und jede Ausgewogenheit vermissen lässt (grobe Fehlerhaftigkeit).
c. Was ist ein Sozialplan?
Im Sozialplan wird zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbart, wie die sozialen Folgen, die durch die Betriebsänderung entstehen, ausgeglichen werden. Meistens werden hier Abfindungen nach bestimmten Berechnungsformeln geregelt, Übergangszeiträume, Regelungen zu Transfergesellschaften (siehe unten), zur finanziellen Ausstattung des Sozialplans (Sozialplanvolumen), zu der Möglichkeit eines vorzeitigen Ausscheidens, zu Übergangszeiträumen, Aufhebungsvereinbarungen und vieles mehr. Der Sozialplan soll damit den harten Einschnitt, den die Betriebsänderung für die Beschäftigten darstellt, möglichst abmildern.
d. Was ist eine Transfergesellschaft?
Häufig wird bei (Teil-) Betriebsschließungen vereinbart, dass der Arbeitgeber eine sogenannte Transfergesellschaft (oder auch Beschäftigungsgesellschaft) finanziert. In diese Transfergesellschaft werden die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Beschäftigten übertragen. Je nach Aufstockung durch den Arbeitgeber beträgt die Vergütung der Arbeitnehmer bis zu 100% der bisherigen Vergütung, es ist aber nicht unüblich, dass die Vergütung darunter liegt. Ein Vorteil einer Beschäftigung in einer Transfergesellschaft kann es sein, dass die Beschäftigten hierdurch die Zeit bekommen eine geeignete Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf dem Arbeitsmarkt zu suchen. Dies wird durch verschiedene Angebote der Transfergesellschaft gefördert (etwa Bewerbungstrainings und Coachings, etc.).
2. Sozialtarifvertrag
Häufig, auch im Falle Vallourec, ist von einem Sozialtarifvertrag die Rede. In welchem Zusammenhang steht ein solcher Tarifvertrag mit dem Sozialplan?
a. Was ist ein Sozialtarifvertrag?
Sofern eine Gewerkschaft in einem Betrieb organisiert ist, kann diese versuchen, Regelungen, die auch in einem Sozialplan verhandelt werden im Rahmen eines Sozialtarifvertrages mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren. Die Hoffnung ist hierbei, dass die Gewerkschaft durch die ihr zur Verfügung stehenden Arbeitskampfmittel bessere Bedingungen zur Abmilderung der Folgen der Betriebsänderung erreichen kann.
b. Überschneidet sich ein Sozialtarifvertrag mit einem Sozialplan?
Grundsätzlich gilt der Sozialtarifvertrag nur zwischen den Tarifvertragsparteien und ihren Mitgliedern. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen, dass sich der Arbeitgeber daher auf den Standpunkt stellt, dass die Regelungen des Sozialtarifvertrags sich nur auf die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten bezieht.
Daher wird der Betriebsrat darauf bestehen, jedenfalls auch einen Sozialplan zu vereinbaren, der zugunsten aller Beschäftigten gilt. Hier ergeben sich aber regelmäßig Probleme bei der Bemessung des Sozialplanvolumens, denn der Arbeitgeber wird nicht bereit sein, über den Sozialtarifvertrag hinaus Sozialplanabfindungen zu zahlen. Es wird erforderlich sein, dass die Betriebsparteien hier geschickt Anrechnungs- und Ausgleichslösungen finden.
3. Kündigungen und Kündigungsschutzklagen
Die Folge von Betriebsschließungen ist die Beendigung der Beschäftigungsverhältnisse. Hierzu werden auch Kündigungen gehören (falls nicht schon Aufhebungsvereinbarungen oder der Übergang in Transfergesellschaften greifen).
Wichtig ist: Die Anforderungen an die Begründung von Kündigungen im Zusammenhang mit einer Betriebsschließung unterscheiden sich zwar von den Anforderungen, die an Kündigungen gestellt werden, von denen nur wenige Arbeitnehmer eines ansonsten weiter bestehenden Betriebes betroffen sind. Schließlich gibt es keine „Sozialauswahl“ im eigentlichen Sinne, wenn wirklich alle Arbeitsverhältnisse enden sollen. Trotzdem kann ein Arbeitgeber viele Fehler machen, die zur Unwirksamkeit von Kündigungen führen können. Die Prüfung, ob gegen solche Kündigungen vorgegangen werden soll, erfordert Sorgfalt und vertiefte Kenntnisse im Arbeits- und Sozialrecht. Zu berücksichtigen sind hier neben rechtlichen auch wirtschaftliche Erwägungen.
Es ist wichtig, individuell vernünftige und wirtschaftlich sinnvolle Abwägungen zu treffen.
ATN d‘Avoine Teubler Neu Rechtsanwälte können aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung mit der juristischen Begleitung von Strukturveränderungen in Industriebetrieben einen Überblick geben und dabei helfen, schon jetzt Weichen zu stellen. Hierbei kann ATN versuchen, in enger Abstimmung mit den Gremien der betroffenen Betriebe, die für betroffene Arbeitnehmer individuell sinnvollen Maßnahmen zu entwickeln und im Interesse der Mandanten umzusetzen. Kosten werden hierbei in der Regel von Rechtsschutzversicherungen getragen, wenn diese zum Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigung schon mindestens drei Monate bestanden haben.
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