Augen auf bei der Prüfung der Zahlungs(un)fähigkeit!
8. Februar 2023Mit Urteil vom 28.06.2022 hat der II. Senat des BGH festgestellt, dass die Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 S. 1 InsO nicht durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz, sondern auch mit anderen Mitteln dargelegt werden kann.
BGH, Urteil vom 28.06.2022 – II ZR 112/21, NZI 2022, 787
Geschäftsleiter einer juristischen Person müssen nach § 15a Abs. 1 InsO u.a bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag stellen. Der Insolvenzantrag ist dabei spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu stellen. In der Praxis lässt sich jedoch häufig feststellen, dass bei vielen Geschäftsleitern und Beratern erhebliche Unsicherheiten bestehen in Bezug auf die komplizierte rechnerische Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit in Abgrenzung zu einer bloßen Zahlungsstockung. Dies führt zu verspäteten Insolvenzanträgen und damit zu einem erheblichen Haftungsrisiko für die Beteiligten. Verschärft wird diese Situation durch die Rechtsprechung des II. Senats vom 28.06.2022.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH ist von einer Zahlungsunfähigkeit auszugehen, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von zehn Prozent oder mehr besteht und nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Es ist somit im Rahmen einer Zeitraumbetrachtung eine sog. „Liquiditätsbilanz“ zu erstellen, in welcher der Liquiditätsdeckungsgrad unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Summe von Aktiva I und Aktiva II zur Summe von Passiva I und Passiva II errechnet wird.
Der BGH hat nunmehr in seinem Urteil vom 28.06.2022 ausgeführt, dass in der Rechtsprechung des BGH anerkannt sei, dass die Zahlungsunfähigkeit auch auf andere Weise dargelegt werden könne als durch eine solche Zeitraumbetrachtung. So werde es für zulässig erachtet, die Zahlungsunfähigkeit durch einen Liquiditätsstatus auf den Stichtag in Verbindung mit einem Finanzplan für die auf den Stichtag folgenden drei Wochen, in dem tagesgenaue Einzahlungen und Auszahlungen gegenübergestellt werden, darzutun. Es spreche auch nichts dagegen, zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit mehrere tagesgenaue Liquiditätsstatus in aussagekräftiger Anzahl aufzustellen, in denen ausgehend von dem am Stichtag eine erhebliche Unterdeckung ausweisenden Status an keinem der im Prognosezeitraum liegenden bilanzierten Tag die Liquiditätslücke in relevanter Weise geschlossen werden kann. Im konkreten Fall erachtete der II. Senat vier Stichtage als ausreichend an.
Im Ergebnis ist damit festzustellen, dass sich die Haftungsgefahren für Geschäftsleiter in einer wirtschaftlichen Krise durch das Urteil vom 28.06.2022 verschärft haben. Für einen Insolvenzverwalter wird es nun deutlich leichter den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen von Haftungs- und Anfechtungsprozessen darzulegen. Zudem können die verschiedenen Rechenwerke bei gleichem Sachverhalt zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Schließlich ist nicht abschließend geklärt, welches Rechenwerk im jeweiligen konkreten Fall nun das Richtige ist.
Geschäftsleiter sollten daher eine im Rahmen der Krisenfrüherkennung nach § 1 StaRUG vorgeschriebene Unternehmensplanung pflegen, welche auf einer belastbaren und aktuellen Buchhaltung beruht und im Rahmen eines Soll-Ist-Vergleichs regelmäßig angepasst wird. Aus Vorsichtsgründen sollten in einer Liquiditätskrise beide Rechenwerke zur Zahlungsunfähigkeit geprüft werden. Ein frühzeitiges Erkennen von Krisensignalen ermöglicht rechtzeitige und effektive Sanierungsmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Wichtigkeit einer belastbaren Unternehmensplanung gerade in der Krise.
Für weitere Informationen und Neuigkeiten folgen Sie uns gerne bei LinkedIn!