BGH Urteil vom 29. Juni 2023: Erweiterte Haftung für Berater
8. August 2023Der BGH hat mit Urteil vom 29.06.2023 – (IX ZR 56/22) an sein Urteil vom 26.01.2017 (IX ZR 285/14) angeknüpft. Nach dem Urteil 2017 kann eine Steuerberaterhaftung wegen Insolvenzverschleppung greifen, wenn der StB auch (nur) mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragt war (Rechtsprechungsänderung, DStR 2017, 942 NJW 2017, 1611¸ NZI 2017, 312 (m. Anm. Schädlich); BB 2017, 685 (m. Anm. Hüttemann)¸WM 2017 Heft 8, 383¸ NZG 2017, 468 ¸ZIP 2017, 427; BeckRS 2017, 101939; LSK 2017, 101939 (Ls.))
BGH, Urteil vom 29. Juni 2023 – IX ZR 56/22 – erweitert Haftung für Berater
Das Urteil des BGH vom 29.06.2023 – (IX ZR 56/22) geht darüber hinaus und zieht den faktischen GF in den Schutzbereich eines Beratungsvertrages. In den Entscheidungsgründen heißt es:
- Die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des zwischen Rechtsberater und Mandant geschlossenen Mandatsvertrags ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil dem Berater im Verhältnis zum Mandanten nur eine Schutz- oder Fürsorgepflichtverletzung zur Last fällt.
- Die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund kann Drittschutz für den Geschäftsleiter der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit entfalten; Voraussetzung ist ein Näheverhältnis zu der nach dem Mandatsvertrag geschuldeten Hauptleistung.
- In den Schutzbereich des Vertrags bei Verletzung der Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund kann auch ein faktischer Geschäftsleiter einbezogen sein.
BGH, Urteil vom 29. Juni 2023 – IX ZR 56/22 – OLG Köln LG Aachen
Mit diesem Urteil stellt der BGH die Schutzwirkung von Beratungsverträgen auf Dritte ausdrücklich fest, und zwar auch für diejenigen Fälle, in denen die „Beratung über Insolvenzgründe“ nicht als Hauptleistung vereinbart war. Dort ging es um einen (inzwischen insolventen) Rechtsanwalt, der die Geschäftsleiter einer GmbH & Co. KG nicht korrekt zu § 64 GmbH bzw. § 15a ff. InsO beraten hatte. Eingetragener GF der GmbH war J. M., der Sohn des „Seniors“ M. M, der Ex-GF aber – wohl immer noch – aktiv und daher faktischer GF war.
Einbeziehung eines Dritten (faktischer GF) in den Schutzbereich des zwischen Rechtsberater und Mandant geschlossenen Mandatsvertrags
Der Vater M. M. und/oder der Sohn J. M. als GF der Komplementärgesellschaft hatten verschiedene Zahlungen der GmbH & Co. KG bei Insolvenzreife vorgenommen, für die der spätere Insolvenzverwalter beide erfolgreich in Anspruch genommen hatte. Zwar vergleich sich die Parteien am Ende auf eine Zahlung von € 85.000,00, die Vater und Sohn als „Gesamtschuldner“ auch erbrachten. Aber die beiden M. (Geschädigte) wollten diesen Betrag von dem Ex-Berater bzw. dem Haftpflichtversicherer des in Insolvenz gefallenen Rechtsanwalts erstattet haben. Die Kläger meinten, der Rechtsanwalt habe seine Beratungspflichten im Blick auf eine bestehende Insolvenzreife der KG verletzt; Sohn und Vater seien als formaler und faktischer Geschäftsführer in den Schutzbereich der mit der KG geschlossenen Mandatsverträge einbezogen gewesen. Damit drangen sie beim BGH durch.
Wenngleich die Einzelheiten des Ausgangsfalls nicht bekannt sind, bedeutet das Urteil vom 29.06.2023 eine massive Ausweitung der Beraterhaftung. Schon nach dem Urteil des BGH vom 26.01.2017 (IX ZR 285/14) kann der Steuerberater wegen Insolvenzverschleppung haften, wenn der StB auch (nur) mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragt war (Rechtsprechungsänderung). „Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater hat die Mandantin auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst ist.“
Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund mit Drittschutz für GF und faktischen GF
Nunmehr erweitert der BGH die Schutzwirkung von Beratungsverträgen auf Dritte auch für diejenigen Fälle, in denen die „Beratung über Insolvenzgründe“ nicht als Hauptleistung vereinbart war. Auch wenn der BGH noch einige Einschränkungen macht (der Insolvenzgrund muss offenkundig sein oder „sich aufdrängen“) heißt es ab jetzt „erhöhte Obacht bei der Beratung mit Blick auf Randthemen und Annexfragen“. Mit der gestiegenen Haftungsgefahr werden sich Berater künftig enger befassen (müssen).