ChatGPT in der Insolvenzverwalterpraxis

12. September 2023

„ChatGPT“ und andere KI-Chatbots sind derzeit Gegenstand vieler Veranstaltungen und Diskussionen. Solche Computerprogramme erlauben es den Anwendern, mit der „KI“ einen menschenähnlichen Dialog zu führen. Auf diese Weise kann man vom Chatbot Texte erstellen, über- und verarbeiten lassen.

In Zeiten von massivem Fachkräftemangel beschäftigen sich inzwischen auch in Deutschland immer mehr Anwaltskanzleien mit entsprechenden Anwendungen. In ersten Fortbildungsveranstaltungen wird bereits demonstriert, wie mit Anwendungen wie ChatGPT 4.0, Bing oder BARD ganze Schriftsatzentwürfe und dazu korrespondierende Mandantenanschreiben erstellt werden können. Auch die Justiz selbst beschäftigt sich in verschiedenen Projekten auf Länderebene mit diesen Technologien, dabei vorwiegend in Bereichen, in denen Massenverfahren, wie z.B. Diesel- oder Fluggastprozesse, bearbeitet werden müssen. Zwar verweisen die zuständigen Vertreter der Justiz dabei ausdrücklich auf den sich aus dem Grundgesetz ergebenden „Menschenvorbehalt“ für Richter und die Notwendigkeit des Erhalts der richterlichen Unabhängigkeit.Die Tatsache der Befassung der Justiz mit diesen KI-Anwendungen an sich zeigt aber, dass diese sich ein Übergehen angesichts der wachsenden Verfahrensmenge schlicht nicht leisten kann.

Ähnliche Zwänge zeigen sich in der Praxis der Insolvenzverwalterbüros. Auch diese haben derzeit mit steigenden Verfahrensanzahlen und wachsender Personalknappheit zu kämpfen. Ein Großteil der Arbeit im Berichtswesen ist aber beschreibender und analysierender Art. Anwendungen wie Ask-your-pdf können die Bearbeitung mit KI-Programmen in diesen Bereichen erheblich vereinfachen und beschleunigen. Dies betrifft aber nur den beschreibenden Teil der Arbeit, denn KI-Bots sind nicht in der Lage, eigene einzelfallbezogene und sachgerechte Entscheidungen zu treffen, die die menschliche Bearbeitung ersetzen könnten. Solche Entscheidungen machen zwar den wichtigsten, aber auch nur einen kleinen Teil der Insolvenzverwalterpraxis aus. Offen sind allerdings noch diverse Rechtsfragen, z.B. arbeits-, datenschutz- und urheberrechtlicher Art. Letztere führen dazu, dass die verschiedenen KI-Chatbots derzeit zu Übungszwecken nur auf einen kleinen Teil der verfügbaren Gerichtsurteile zugreifen können.

Tatsächlich könnten die Systeme in der juristischen Bearbeitung schon deutlich „besser“ sein. Dies erfordert aber eben die Klärung offener Rechtsfragen. Auch vor dem Hintergrund fanden zuletzt auf EU-Ebene Gespräche über den künftigen Rechtsrahmen für die KI-Technologie statt. Dies ist zu begrüßen, denn die Entwicklung lässt sich ohnehin nicht aufhalten. Sicher ist indes, dass sich die anwaltliche, aber insbesondere auch die insolvenzrechtliche Bearbeitungspraxis in naher Zukunft massiv ändern wird – und vielleicht auch muss.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben oder eine rechtliche Beratung benötigen, können Sie sich gerne an das erfahrene Team von ATN Rechtsanwälte wenden.

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Risiken bzw. Besonderheiten bei der Restrukturierung / Sanierung von Apotheken

29. August 2023

 

Arzneimittelknappheit, Probleme in Lieferketten, gestiegene Energiepreise, fehlerhafte Investitionsentscheidungen in der Vergangenheit, steigende Zinsen, die Gründe für wirtschaftliche Schwierigkeiten eines Apothekers / einer Apothekerin sind vielfältig.

 

Sanierung mittels Insolvenz

Ist eine außergerichtliche Einigung mit der Gläubigergesamtheit nicht möglich, kommt die Sanierung des Apothekers / der Apothekerin mittels eines Insolvenzverfahrens in Betracht. Die Laufzeit der Abtretungserklärung im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person beträgt in der Regel drei Jahre. Mittels Insolvenzplan lassen sich häufig sogar schnellere Lösungen für den Insolvenzschuldner gestalten, die zugleich vorteilhaft für die Gläubigergesamtheit sind, da Insolvenzpläne in der Regel zu höheren und vor allem zu schnelleren Quotenzahlungen führen.

 

Einschränkungen durch das ApoG

Das Gesetz über das Apothekenwesen (ApoG) beinhaltet allerdings Regelungen, welche die Möglichkeiten für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Apothekers / einer Apothekerin beschränken. Da den Apotheken insbesondere die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln obliegt, bedarf der Betrieb einer Apotheke einer Erlaubnis. Die Erlaubnis ist personen- und ortsgebunden (§ 1 ApoG) und sie verpflichtet zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung (§ 7 ApoG).

 

Als Insolvenzverwalter werden in der Regel Rechtsanwälte bzw. Wirtschaftsprüfer / Steuerberater bestellt. Die vorgenannten Berufsgruppen verfügen in der Regel über keine pharmazeutische Kompetenz. Ihnen wird vor bzw. im Zusammenhang mit ihrer Bestellung daher auch regelmäßig keine Erlaubnis im Sinne des ApoG erteilt. Der Betrieb einer Apotheke ohne Erlaubnis ist hingegen strafbewehrt (§ 23 ApoG). Ein Verstoß würde zudem gemäß § 5 ApoG die Zwangsstilllegung des Apothekenbetriebs auslösen.

 

Die Erlaubnis verpflichtet den Apotheker / die Apothekerin zudem zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung. Mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geht das Recht, über einen Gegenstand der Insolvenzmasse zu Verfügungen (die sog. Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis) aber vom Schuldner auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 InsO). Die Eröffnung eines sog. Regelinsolvenzverfahrens steht dem Betrieb der Apotheke durch den Apotheker / die Apothekerin in eigener Verantwortung daher entgegen, da gerade kein eigenverantwortliches Handeln mehr möglich ist.

 

 

Lösungsweg Eigenverwaltung §§ 270 ff. InsO

Die Insolvenzordnung beinhaltet jedoch einen Lösungsweg – die sog. Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO. Bei der Eigenverwaltung wird es dem Schuldner gestattet, die Insolvenzmasse unter Aufsicht eines Sachwalters zu verwalten und über sie zu verfügen. Der Apotheker / die Apothekerin bleibt „am Ruder“. Sanktionen nach dem ApoG werden im Falle der Eigenverwaltung nicht automatisch durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgelöst. Diese Form des Insolvenzverfahrens führt grds. zu keinem Verstoß gegen § 7 ApoG.

 

Die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Eigenverwaltungsverfahrens sind hingegen höher als die Voraussetzungen für die Eröffnung eines „normalen“ Regelinsolvenzverfahrens, da dem Schuldner ein Vertrauensvorschuss seitens des Insolvenzgerichts und seitens seiner Gläubiger gewährt wird. Die Voraussetzungen regelt § 270a InsO. Dem Insolvenzantrag sind u.a. eine Eigenverwaltungsplanung, ein Durchführungskonzept, die Darstellung des Verhandlungsstands mit den beteiligten Gläubigern, die Darlegung wie insolvenzrechtliche Pflichten sichergestellt werden und eine sog. Vergleichsrechnung im Hinblick auf die zu erwartenden Kosten des Verfahrens, beizufügen. Darüber hinaus hat der Schuldner diverse weitere Erklärungen gegenüber dem Insolvenzgericht abzugeben.

 

Die Vorbereitung eines Eigenverwaltungsverfahrens bedarf einer sorgsamen Auseinandersetzung mit den Ursachen der wirtschaftlichen Schieflage und des Status quo sowie einer vorausschauenden Betrachtung der Sanierungsmöglichkeiten. Regelmäßig sind im Vorfeld Verhandlungen mit den beteiligten relevanten Gläubigern (Banken, Pharmagroßhandel, Finanzverwaltung, Sozialversicherungsträger etc.) zu führen.

Je früher Sanierungsschritte eingeleitet werden, desto höher ist in der Regel die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Sanierung im Wege der Eigenverwaltung.

 

ATN Rechtsanwälte begleitet Mandanten regelmäßig von den ersten Schritten der Vorbereitung bis zum Abschluss durch Eigenverwaltungsverfahren. RA Dr. Marc d’Avoine und RA Prof. Dr. Peter Neu werden zudem regelmäßig von diversen Insolvenzgerichten zu Sachwaltern in Eigenverwaltungsverfahren eingesetzt.

 

Bei Fragen rund um das Thema „Eigenverwaltung“ stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

 

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Aufrechnungslage trotz Begründung im Dreimonatszeitraum nicht zwingend inkongruent

26. April 2023

Die Herstellung einer Aufrechnungslage ist nicht allein deshalb inkongruent, weil die Aufrechnungsbefugnis in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden ist.

BGH, Urteil vom 8.12.2022 – IX ZR 175/21

RA Dr. d’Avoine kommentiert das BGH, Urteil vom 8.12.2022 – IX ZR 175/21 im Heft 6 der EWiR 2023, S. 179 f.

1. Sachverhalt

Der Kläger ist (Sonder-) Insolvenzverwalter über das Vermögen der P (=Schuldnerin). Die Schuldnerin erwarb von dem Beklagten als Insolvenzverwalter der „W“ deren Geschäftsbetrieb. Der Kaufpreis war urspr. am 19.02.2016 fällig. Am 23. Februar 2016 vereinbarten die Parteien, dass der Kaufpreis in Höhe von 1 Million Euro am 23. Februar und in Höhe der restlichen 5,7 Millionen Euro am 18. März 2016 fällig sein sollte; gezahlt wurde nur die erste Rate. Vom Unternehmenskauf ausgenommen war bei der W gelagerte Fertigware. Diese sollte (und wurde später ab dem 23.02.2016) von der Schuldnerin abverkauft. Als Gegenleistung war die Zahlung einer „Handling Fee“ von € 170.000,00 netto vereinbart. Auf den Antrag der Schuldnerin vom 15.03.2016 wurde das Insolvenzverfahren am 23.05.2016 eröffnet. Der Beklagte meldete den fehlenden Kaufpreis zur Insolvenztabelle an. Mit einer vom Kläger festgestellten Teilforderung von € 500.000,00 hat der Beklagte die Aufrechnung gegen die streitgegenständliche „Handling Fee“ erklärt. Der Kläger verlangt mit der Klage die Zahlung der „Handling Fee“. Das Landgericht hat die Klage aufgrund der Aufrechnung abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Aufrechnung für insolvenzrechtlich unwirksam gehalten und der Klage stattgegeben. Der Senat hebt das Berufungsurteil auf und verweist an das OLG zurück.

2. Ausführungen des BGH

Der BGH hält die Aufrechnung des Beklagten mit einem (erstrangigen) Teilbetrag der zur Tabelle festgestellten Kaufpreisforderung für die immateriellen Vermögensgegenstände in Höhe von 500.000 € für zulässig. Sie scheitere nicht an § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Es fehle an einer inkongruenten Sicherung oder Befriedigung. Eine die Aufrechnungsbefugnis begründende Verknüpfung zwischen Haupt- und Gegenforderung setzte nicht voraus, dass die Aufrechnung ausdrücklich vereinbart werde. Ausreichend sei eine vor der Herstellung der Aufrechnungslage vorgenommene Verknüpfung, welche die Annahme einer Aufrechnungsbefugnis nach dem zuerst entstandenen Rechtsverhältnis rechtfertigt. Würden in einem Vertrag wechselseitige Ansprüche begründet und ergebe sich aus den getroffenen Vereinbarungen nicht, dass eine Erfüllung durch Aufrechnung ausgeschlossen sein solle, bestehe die zur Annahme der Kongruenz notwendige Aufrechnungsbefugnis. Sowohl der streitgegenständliche Anspruch auf die „Handling Fee“ als auch die zur Aufrechnung gestellte Teilkaufpreisforderung aus dem geschlossenen Unternehmenskaufvertrag seien aus einem einheitlichen Vertragsverhältnis erwachsen. Dass die Aufrechnungsbefugnis in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sei, führe nicht allein zu einer Inkongruenz der Herstellung einer Aufrechnungslage.

3. Analyse und praktische Konsequenzen:

Die Entscheidung schützt das Vertrauen der Vertragsparteien darin, sich grundsätzlich wegen der gegenseitigen Forderungen aus einem einheitlichen Vertrag durch Aufrechnung befriedigen zu können. Hier bestätigt der BGH seine Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit der Aufrechnung im Dreimonatszeitraum zugunsten einer grundsätzlich anzunehmenden Kongruenz. Die in der Literatur teilweise vertretene Ansicht, dies sei nur zulässig, wenn der Aufrechnende einen Anspruch gerade auf den Abschluss der Vereinbarung habe, welche die Aufrechnungslage entstehen ließ, (so: MüKoInsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl. 2019, InsO § 131 Rn. 17), lehnt der Senat ab. Dies ist zutreffend, da die Aufrechnung ein Erfüllungssurogat i.S.d. § 364 Abs. 1 BGB darstellt. Die von §§ 94 ff. InsO vorgesehene Möglichkeit, durch Aufrechnung zu erfüllen, macht die Aufrechnung nicht inkongruent, nur weil diese Möglichkeit nicht vertraglich bestimmt wurde. Die Erlangung einer kongruenten Aufrechnungslage hängt nicht davon ab, ob der Aufrechnende einen Anspruch gerade auf den Abschluss der die Aufrechnungslage entstehenden Vereinbarung hat. Bei der Differenzierung zwischen vertragstreuer Kongruenz und vom Gläubiger nicht zu beanspruchender und damit inkongruenter Deckung ist die Verknüpfung zwischen den beiden Rechtsverhältnissen (dem aufrechnenden und dem aufgerechneten) ausschlaggebend. Entstehen Haupt- und Gegenforderung aus einem einheitlichen Vertragsverhältnis ist grundsätzlich von der Entstehung einer vertragstreuen -und damit unverdächtigen- Aufrechnungslage auszugehen

Die Aufrechnung in der kritischen Zeit der §§ 130, 131 InsO verstößt auch nicht gegen den Schutz der Gläubigergesamtheit. Zwar nutzt der Aufrechnende einen Vorteil, der den übrigen Gläubigern nicht zusteht und befreit sich (ggf. nur teilweise) von einer Forderung, doch bestimmt bereits § 94 InsO, dass eine zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Aufrechnungslage durch das Verfahren im Grundsatz nicht berührt wird (so auch BGH a.a.O. Ziffer 12). Der Gesetzeszweck der §§ 94 ff. InsO würde nicht beachtet, wenn bereits das Entstehen der Aufrechnungslage eine Inkongruenz begründen und damit im Monat 1 vor dem Insolvenzantrag ohne weitere Voraussetzungen der Anfechtung unterliegen würde (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Das führt der BGH aus und schützt letztlich das Vertrauen der Vertragsparteien in Aufrechnungspotentiale.

Quelle:
Kommentar zu BGH, Urteil vom 8.12.2022 – IX ZR 175/21 im Heft 6 der EWiR 2023, S. 179 f.

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Restrukturierung und Insolvenz in Europa und neuer Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Harmonisierung des Insolvenzrechts

26. April 2023

Insolvenzsysteme StaRUG, Vergleichsfeststellungsverfahren und WHOA im europäischen Kontext oder Wettbewerb?

Ende 2016 hatte die Europäische Kommission ihren Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen veröffentlicht. Die Kommission war bestrebt, präventive Sanierungsmaßnahmen in Europa einzuführen.

Die EU-Richtlinie 2019/1023 über „…Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren…“ (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) führte in Deutschland zum Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG). Das SanInsFoG gilt seit dem 01.01.2021 und beinhaltet vor allem das „Unternehmensstabilisierungs- und –restrukturierungsgesetz“ (StaRUG) mit den Möglichkeiten eines Restrukturierungsplans. Eingangsvoraussetzung eines StaRUG-Verfahrens ist bekanntlich die (nur) drohende Zahlungsunfähigkeit der/des Schuldners/in im Sinne des § 18 Abs. 2 InsO.

Polen kennt bereits seit 2016 mit dem „postępowanie o zatwierdzenie układu“ ein Verfahren zur Feststellung eines Vergleiches. Es bietet eine interessante Alternative für Unternehmer in Krise. Die Restrukturierungsmaßnahmen nach dem dt. „Schutzschirm“ gemäß § 270d InsO und der präventive Restrukturierungsrahmen nach StaRUG sind inzwischen im offensiven Wettbewerb mit dem besagten polnischen Vergleichsfeststellungsverfahren, dem englischen „Scheme-of-Arrangement“ und dem „Wet Homologatie Onderhands Akkoord“ (WHOA) in den Niederlanden.

Das moderne Sanierungsrecht und dessen Anwendung auf internationaler Ebene waren Thema am 04.04.2023 beim Arbeitskreis für Insolvenzwesen in Köln. Unter der Moderation des ehem. Insolvenzrichters Prof. Dr. Heinz Vallender diskutierten Rechtsanwalt Krijn Hoogenboezem, Amsterdam, Rechtsanwalt Pawel Kuglarz, Krakau, Rechtsanwalt Dr. Rolf Leithaus, Köln, und Richter am Amtsgericht Dr. Peter Laroche, Köln, über ihre Erfahrungen mit der Umsetzung der Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz (Richtlinie (EU) 2019/1023) in Deutschland, Polen und den Niederlanden. Das Publikum wurde eingebunden und diskutierte mit.

Berichterstatter in der Fachpresse war ATN-Anwalt Dr. Marc d’Avoine, der Artikel im INDAT-Rapot 03/2023 liegt bei.

ATN Beitrag „Praxis zur Prävention im Dreiklang“
Titelbild INDAT REPORT

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Augen auf bei der Prüfung der Zahlungs(un)fähigkeit!

8. Februar 2023

Mit Urteil vom 28.06.2022 hat der II. Senat des BGH festgestellt, dass die Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 S. 1 InsO nicht durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz, sondern auch mit anderen Mitteln dargelegt werden kann.

BGH, Urteil vom 28.06.2022 – II ZR 112/21, NZI 2022, 787

Geschäftsleiter einer juristischen Person müssen nach § 15a Abs. 1 InsO u.a bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag stellen. Der Insolvenzantrag ist dabei spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu stellen. In der Praxis lässt sich jedoch häufig feststellen, dass bei vielen Geschäftsleitern und Beratern erhebliche Unsicherheiten bestehen in Bezug auf die komplizierte rechnerische Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit in Abgrenzung zu einer bloßen Zahlungsstockung. Dies führt zu verspäteten Insolvenzanträgen und damit zu einem erheblichen Haftungsrisiko für die Beteiligten. Verschärft wird diese Situation durch die Rechtsprechung des II. Senats vom 28.06.2022.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH ist von einer Zahlungsunfähigkeit auszugehen, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von zehn Prozent oder mehr besteht und nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Es ist somit im Rahmen einer Zeitraumbetrachtung eine sog. „Liquiditätsbilanz“ zu erstellen, in welcher der Liquiditätsdeckungsgrad unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Summe von Aktiva I und Aktiva II zur Summe von Passiva I und Passiva II errechnet wird.

Der BGH hat nunmehr in seinem Urteil vom 28.06.2022 ausgeführt, dass in der Rechtsprechung des BGH anerkannt sei, dass die Zahlungsunfähigkeit auch auf andere Weise dargelegt werden könne als durch eine solche Zeitraumbetrachtung. So werde es für zulässig erachtet, die Zahlungsunfähigkeit durch einen Liquiditätsstatus auf den Stichtag in Verbindung mit einem Finanzplan für die auf den Stichtag folgenden drei Wochen, in dem tagesgenaue Einzahlungen und Auszahlungen gegenübergestellt werden, darzutun. Es spreche auch nichts dagegen, zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit mehrere tagesgenaue Liquiditätsstatus in aussagekräftiger Anzahl aufzustellen, in denen ausgehend von dem am Stichtag eine erhebliche Unterdeckung ausweisenden Status an keinem der im Prognosezeitraum liegenden bilanzierten Tag die Liquiditätslücke in relevanter Weise geschlossen werden kann. Im konkreten Fall erachtete der II. Senat vier Stichtage als ausreichend an.

Im Ergebnis ist damit festzustellen, dass sich die Haftungsgefahren für Geschäftsleiter in einer wirtschaftlichen Krise durch das Urteil vom 28.06.2022 verschärft haben. Für einen Insolvenzverwalter wird es nun deutlich leichter den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen von Haftungs- und Anfechtungsprozessen darzulegen. Zudem können die verschiedenen Rechenwerke bei gleichem Sachverhalt zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Schließlich ist nicht abschließend geklärt, welches Rechenwerk im jeweiligen konkreten Fall nun das Richtige ist.

Geschäftsleiter sollten daher eine im Rahmen der Krisenfrüherkennung nach § 1 StaRUG vorgeschriebene Unternehmensplanung pflegen, welche auf einer belastbaren und aktuellen Buchhaltung beruht und im Rahmen eines Soll-Ist-Vergleichs regelmäßig angepasst wird. Aus Vorsichtsgründen sollten in einer Liquiditätskrise beide Rechenwerke zur Zahlungsunfähigkeit geprüft werden. Ein frühzeitiges Erkennen von Krisensignalen ermöglicht rechtzeitige und effektive Sanierungsmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Wichtigkeit einer belastbaren Unternehmensplanung gerade in der Krise.

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Fortführungslösung für Reformhaus Bacher

8. Februar 2023

Pressemitteilung

 

Fortführungslösung für Reformhaus Bacher

 

  1. Umfangreiche Restrukturierung stellt Reformhaus Bacher zukunftsfähig auf
  2. Amtsgericht Düsseldorf hebt Eigenverwaltungsverfahren zum 1. Februar 2023 auf
  3. Bundesweit rund 550 Arbeitsplätze sowie 90 Filialen gesichert

 

Düsseldorf, 6. Februar 2023. Mit Beschluss des zuständigen Amtsgerichts in Düsseldorf hat die Reformhaus Bacher GmbH & Co. KG das Eigenverwaltungsverfahren zum 1. Februar 2023 verlassen. „In den zurückliegenden Monaten haben wir eine insgesamt schwierige Zeit durchlebt, aber wir freuen uns nun auf Basis unseres wahrhaft starken Bacher-Teams die Zukunft der verbliebenen neunzig Filialen aktiv zu gestalten“, sagt Dirk Stolpmann, Geschäftsführer der Reformhaus Bacher Beteiligungsgesellschaft mbH. Mit Verfahrensabschluss wurden bundesweit rund 550 Arbeitsplätze gesichert. Zehn defizitäre Filialen wurden geschlossen.

 

Reformhaus Bacher hatte aufgrund der Folgen der Corona-Krise und der inflationsbedingten Kaufzurückhaltung im Juli 2022 einen Prozess gestartet, um das Geschäft zu restrukturieren und sich zukunftsfähig aufzustellen. Neben der Einigung mit den Gläubigern im Rahmen eines Insolvenzplans, der einstimmig angenommen wurde, umfasste die Restrukturierung unter anderem Maßnahmen zur Kostensenkung, Neuverhandlungen von Mietverhältnissen, die Stärkung des Online-Geschäfts sowie die Reorganisation der bestehenden Gesellschaftsstruktur.

 

Ein wesentlicher Bestandteil in diesem Zusammenhang ist auch der Einstieg eines Konsortiums von Investoren mit langjähriger Erfahrung im Bereich der Reformhausbranche, das in Reformhaus Bacher investiert, das Geschäft weiterentwickelt und in eine stabile Zukunft führen will. „Wir möchten allen Beteiligten unseren größten Dank aussprechen, die uns in den vergangenen Monaten aktiv unterstützt haben, um unser Unternehmen und die Arbeitsplätze zu erhalten“, sagt Sascha Schwedler, ebenfalls Geschäftsführer der Reformhaus Bacher Beteiligungsgesellschaft mbH.

 

Es ist auch weiterhin das Ziel von Reformhaus Bacher, den Kundinnen und Kunden ein stets optimales Einkaufserlebnis zu bieten. Ein wesentliches Fundament stellen hier die professionellen Produktkenntnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dar, um – sofern gewünscht – sachkundig die Kaufentscheidungen unterstützen zu können. Es werden auch weiterhin eine Vielzahl an aktuellen und schon fast sprichwörtlich höchstwertigen Produkten angeboten, die speziell auf die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden zugeschnitten sind.

 

Die Reformhaus Bacher GmbH & Co. KG hatte am 1. Juli 2022 beim zuständigen Amtsgericht Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung gestellt. Das Gericht hatte das Verfahren in Eigenverwaltung am 1. September 2022 eröffnet. Die Geschäftsführung war im gesamten Zeitraum handlungs- und weisungsbefugt.

 

Während des gesamten Eigenverwaltungsverfahrens wurde die Geschäftsführung von den Rechtsanwälten Prof. Dr. Peter Neu und Thorsten Kapitza von der auf Insolvenz- und Sanierungsrecht spezialisierten Kanzlei ATN d’Avoine Teubler Neu beraten. Finanzwirtschaftlich wurde das Unternehmen von Anchor Management unterstützt. Bei der Restrukturierung wurde das Unternehmen auch durch den gerichtlich bestellten Sachwalter, dem sanierungserfahrenen Rechtsanwalt Dr. Dirk Andres von der Kanzlei AndresPartner aus Düsseldorf begleitet, dessen Aufgabe es war, die Reformhaus Bacher GmbH & Co. KG im gesamten Verfahren zu überwachen und die Interessen aller Gläubiger zu wahren. Die strukturierte Investorensuche wurde von der CVM GmbH aus Dortmund geführt.

 

Weitere Informationen:

 

Die Reformhaus Bacher GmbH & Co. KG ist ein deutschlandweit tätiges Reformhaus-Filialunternehmen mit Sitz in Düsseldorf. Bundesweit werden 90 Filialen mit rund 550 Beschäftigten betrieben. Internet: www.reformhaus-bacher.de

 

Fotos von Filialen können hier abgerufen werden.

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Pressekontakt

 

FELDMANN Kommunikationsberater

Thomas Feldmann

0178/8550496

feldmann@feldmann-kb.de

www.feldmann-kb.de

Folgen des BGH Urteils vom 27.10.2022

18. Januar 2023

BGH Urteil vom 27.10.2022 zwingt Insolvenzverwalter zu einem geänderten Vorgehen bei Verwertung verpfändeter /abgetretener immaterieller oder sonstiger Rechte

BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff.

Das BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff. bringt die Insolvenzverwalterpraxis zum Nachdenken, wohl auch zu einem geänderten Vorgehen bei Verwertung verpfändeter /abgetretener immaterieller oder sonstiger Rechte. Letztere wurden in der Praxis bei einem Verkauf aus der Insolvenz bisher nach § 166 InsO (analog) behandelt und verwertet, also durch den Insolvenzverwalter selbst, der später gegenüber dem Berechtigten (etwa Darlehnsgeber und Sicherungseigentümer oder Abtretungsempfänger = Zessionar) abrechnen musste. Vorher hat der Verwalter den Sicherheitennehmer zu „befragen“, ob dieser ggf. eine bessere oder günstigere Möglichkeit des Verkaufs bzw. der Verwertung hat, das ergibt sich aus § 168 InsO. Der Sicherheitennehmer kann auch selbst übernehmen, um ggf. eine unterpreisige Verwertung zu vermeiden.
Dieses Vorgehen der Insolvenzverwalter wurde, soweit ersichtlich, in der Praxis bis 2022 nie oder kaum beanstandet, weder von Banken noch von anderen Sicherheitennehmern. Jetzt aber schafft der BGH Klarheit durch das
BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff. , Anm. Bork, EWiR 2023, 15 ff.

Amtl. Leitsatz:

„Das Recht des Insolvenzverwalters, bewegliche Sachen, an denen ein Absonderungsrecht besteht, und zur Sicherheit abgetretene Forderungen des Schuldners zu verwerten, erstreckt sich nicht auf sonstige Rechte.“

1. Grundsätzliches zu den Rechten und Pflichten bei Verwertung in einem Insolvenzverfahren:

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über, § 80 InsO. Verfügungen des Schuldners selbst werden damit unwirksam, § 91 InsO.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen sofort in Besitz und Verwaltung zu nehmen, § 148 InsO. Besondere Herausforderungen stellen sich, wenn der Gegenstand verderblich ist (etwa Ost und Gemüse usw.) oder besonders volatil ist (etwa Aktien, Finanztitel, Kryptoassets usw.) Dann kommt es besonders auf den Zeitpunkt und die Art und Weise der Verwertung – im besten Sinn der Gläubiger – an. Darüber mag durchaus gestritten werden, leider passiert das oft nachträglich.
Nach dem Berichtstermin – in der Praxis ca. 6 bis 8 Wochen nach der Eröffnung – hat der Insolvenzverwalter unverzüglich das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwerten, soweit die Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht entgegenstehen, § 159 InsO. Der Insolvenzverwalter sucht daher nach optimalen Wegen einer Verwertung, freihändig oder auf andere Weise. Bei relevanten Entscheidungen ist die Gläubigerversammlung zu informieren, die entscheiden kann, aber sie muss es nicht zwingend. Dazu bestimmt § 160 InsO:
„Der Insolvenzverwalter hat die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn er Rechtshandlungen vornehmen will, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind. Ist ein Gläubigerausschuß nicht bestellt, so ist die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen. Ist die einberufene Gläubigerversammlung beschlussunfähig, gilt die Zustimmung als erteilt; auf diese Folgen sind die Gläubiger bei der Einladung zur Gläubigerversammlung hinzuweisen.“

2. Speziell Verwertung von Immobilien in der Insolvenz – Abgrenzung zu Mobilien

Anders ist es bei Grund und Boden und Gebäuden: Grds. können Immobilien, die mit Rechten (Hypotheken oder Grundschulden) Dritter belastet sind, nicht von einem Insolvenzverwalter freihändig verkauft werden. § 165 InsO sagt dazu: „Der Insolvenzverwalter kann beim zuständigen Gericht die Zwangsversteigerung oder die Zwangsverwaltung eines unbeweglichen Gegenstands der Insolvenzmasse betreiben, auch wenn an dem Gegenstand ein Absonderungsrecht besteht“.
Ergänzt wird § 165 InsO durch § 173 Abs. 1 InsO: „Soweit der Insolvenzverwalter nicht zur Verwertung einer beweglichen Sache oder einer Forderung berechtigt ist, an denen ein Absonderungsrecht besteht, bleibt das Recht des Gläubigers zur Verwertung unberührt.“
Mit anderen Worten: der Insolvenzverwalter ist bei belasteten Grundstücken i.d.R. an einem freihändigen Verkauf gehindert. Er kann und sollte sich mit den/dem Berechtigten abstimmen und ggf. eine (schriftliche) Vereinbarung über Art und Weise sowie Erlösverteilung treffen. Gelingt keine Einigung, gibt es noch einen sog. „Verwertungsantrag“ beim Insolvenzgericht, § 173 Abs. 2 InsO: „Auf Antrag des Verwalters und nach Anhörung des Gläubigers kann das Insolvenzgericht eine Frist bestimmen, innerhalb welcher der Gläubiger den Gegenstand zu verwerten hat. Nach Ablauf der Frist ist der Verwalter zur Verwertung berechtigt.“ So wird der Insolvenzverwalter frei bei der Verwertung auch von Immobilien.
Einfacher ist es bei Mobilien, auch wenn diese etwa unter Sicherungseigentum liegen: Gemäß § 166 Abs. 1 InsO darf der Insolvenzverwalter eine bewegliche Sache, an der ein Absonderungsrecht besteht, freihändig verwerten, wenn er die Sache in seinem Besitz hat. Gemäß § 166 Abs. 2 InsO darf der Insolvenzverwalter zudem eine Forderung, die der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten hat, einziehen oder in anderer Weise verwerten.

3. Verwertung sonstiger Rechte – welches Recht gilt?

Nach dem Gesetzeswortlaut sind sonstige Rechte nicht der Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterworfen. Die Frage, ob § 166 InsO auf sonstige Rechte (z.B. Geschäftsanteile, Erbteile, Mitgliedschaften, gewerbliche Schutzrechte, Marken, Patente, Kryptoassets u.a.) entsprechend anzuwenden ist, mithin ob auch insoweit ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters besteht, war umstritten. Der Bundesgerichtshof hatte die Frage bis 2022 offenlassen können (vgl. Urteil vom 24. September 2015 – IX ZR 272/13, BGHZ 207, 23 Rn. 19). Der IX. Senat entschied am 27.10.2022 den Meinungsstreit dahin, dass § 166 InsO auf sonstige Rechte nicht entsprechend anzuwenden ist. Damit läuft die Verwertung von „sonstigen Rechten“ so wie die von Immobilien.

4. Bewertung des Urteils vom 24.09.2022

Das Urteil findet in breiten Teilen der Literatur kleine Zustimmung. In den Verfahren kommt es oft auf rasches Handeln durch Profis an, um für die Gläubiger gute Ergebnisse zu erreichen. Praktisch ist daher ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters analog § 166 InsO, denn die einheitliche Verwertung von allen belasteten Gegenstände und Forderungen der Insolvenzmasse ist zur Wahrung der Chancen einer Betriebsfortführung, einer Planlösung oder übertragenden Sanierung zusammenzuhalten (Braun/Dithmar, 9. Aufl. 2022, InsO § 166 Rn. 30). Es wird auch unter Verweis auf die Gesetzgebungsgeschichte ein „Versehen des Gesetzgebers“ bei der Abfassung der Norm angeführt. Die Funktion des § 166 InsO ist jedenfalls – auch – die Vermeidung eines „Auseinanderreißens“ des Unternehmens im Interesse der Wahrung von Sanierungschancen einerseits und Ermöglichung einer gemeinsamen wirtschaftlichen Verwertung zusammengehöriger Gegenstände andererseits.
Daher kommt die Literatur auch zur einer (wenigstens) analogen Anwendung der Vorschrift, zum Teil ausdrücklich entweder von § 166 Abs. 1 InsO oder von § 166 Abs. 2 InsO. Das gilt jedenfalls für solche Rechte, die zur technisch-organisatorischen Einheit des Unternehmens gehören (vgl. AG Hamburg, ZIP 2021, 1985, 1986 f; Schmidt/Sinz, InsO, 19. Aufl., § 166 Rn. 37; HK-InsO/Hölzle, 10. Aufl., § 166 Rn. 44 f, 48; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2022, § 166 Rn. 20; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, 15. Aufl., § 166 Rn. 35 ff.; HmbKomm-InsR/Scholz, 9. Aufl., § 166 InsO Rn. 28; Hirte in Festschrift Gero Fischer, 2008, S. 239, 249 ff; Häcker, Abgesonderte Befriedigung aus Rechten, Rn. 262 ff, 309; ders., ZIP 2001, 995, 997 ff (auch speziell zu Markenrechten); Marotzke, ZZP 109, 429, 449 f; Bitter/ Alles, KTS 2013, 113, 138 ff; Bitter, ZIP 2015, 2249 ff; Berger/Tunze, ZIP 2020, 52, 61; Keller, ZIP 2020, 1052, 1056 f).
Die Gegenauffassung stellte auf den Wortlaut der Vorschrift ab, eine planwidrige Regelungslücke bestünde nicht (MüKoInsO/Kern, 4. Aufl. 2019, InsO § 166 Rn. 103). Zudem komme angesichts der Tragweite einer Analogie im Hinblick auf eine Grundrechtseinschränkung nach Art. 14 GG nicht in Betracht.

5. Argumente des BGH im Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff.

Der BGH entscheidet mit Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff. diesen Streit und lehnt eine Analogie des § 166 InsO auf sonstige Rechte mit folgenden Argumenten ab:

  • Wortlaut und Systematik der Insolvenzordnung sprächen gegen eine Planwidrigkeit der Regelungslücke: So unterscheide das Gesetz an anderen Stellen ausdrücklich zwischen körperlichen Gegenständen, Forderungen und sonstigen rechten (vgl. § 90 BGB, § 413 BGB, §§ 829, 857 ZPO), im § 166 InsO sollten die sonstigen Rechte aber offensichtlich bewusst nicht geregelt werden.
  • Aus der Gesetzgebungsgeschichte lasse sich nicht auf eine Planwidrigkeit einer Regelungslücke schließen.
  • Zudem erfordere auch der Erhalt des technisch-organisatorischen Verbundes des schuldnerischen Unternehmens nicht zwingend die analoge Anwendung des § 166 InsO. So stünde dem Insolvenzverwalter beispielsweise auch bei mit Aussonderungsrechten belasteten Gegenständen (ein in der Praxis nicht unerheblicher Anteil des Unternehmens) kein Verwertungsrecht zu. Bei sonstigen Rechten sei die Interessenlage nicht vergleichbar mit Absonderungsrechten belasteten Gegenständen und Forderungen, denn die Unternehmenszugehörigkeit könne dort (z.B. bei nichtverbrieften Geschäftsanteilen) anders zu beurteilen sein und müsse daher immer im Einzelfall geprüft und festgestellt werden.

6. Fazit zum BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff.

Die Insolvenzverwalterpraxis hat sich nach dem BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff., zu richten. Das hatten Teile der Literatur auch vorher schon so gesehen (vgl. Jaeger/Eckardt, InsO, § 166 Rn. 436 f; Bornheimer/Westkamp in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, 3. Aufl., § 29 Rn. 336; Tresselt, DB 2016, 514, 517 f).
Das fehlende Verwertungsrecht muss nun durch den Abschluss entsprechender Nutzungs- und Verwertungsvereinbarungen zwischen Verwalter und Sicherungsnehmer gelöst werden. Das ist meist zeitintensiv und konfliktbehaftet. Nicht wenige Verwertungen dürften am Disput zwischen den Protagonisten scheitern oder – manchmal recht spät – nur mäßige Ergebnisse bringen. Es kann nur geraten werden, so rasch wie möglich Wertgegenstände zu identifizieren und auch zu klären, wer ggf. welche Rechte an diesen Gegenständen haben könnte. Sodann sind Gespräche mit dem Sicherungsnehmer aufzunehmen mit dem Ziel eines konzertierten Vorgehens und einer optimalen Verwertung bei angemessener Aufteilung der Erlöse.

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Neuer Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Harmonisierung des Insolvenzrechts

13. Januar 2023

EU-Kommission veröffentlicht am 7. Dezember 2022 den Richtlinienvorschlag mit div. Themen und Direktiven für die Mitgliedstaaten

Das StaRUG trat am 1. Januar 2021 in Kraft, wodurch die EU-Restrukturierungsrichtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen in deutsches Recht umgesetzt wurde. Nun kommt der nächste Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vom 7. Dezem¬ber 2022. Dieser Richtlinienvorschlag zielt auf eine Harmonisierung bestimmter Aspek¬te der mitgliedsstaatlichen Insolvenzvorschriften ab. Auch sollen Mindest¬stan¬dards sichergestellt und grenzüberschreitende Investitionen erleichtert werden.

Der Richtlinienvorschlag wird sicher noch diskutiert, dann überarbeitet und nach Befragung div. Organisationen und Verbände angepasst werden. Er wird in einigen Jahren zur einer – späteren – EU-Richtlinie führen, die im grenzüberschreitenden Bezug erhebliche Auswirkungen haben kann. Allerdings ist das deutsche Insolvenzrecht bereits recht detailliert und ausgeprägt, so dass sich vermutlich im dt. Recht nicht viel ändern wird.

Die Harmonisierung des Insolvenzrechts ist Teil des Aktionsplans zur Förderung der EU-Kapitalmarktunion. Das wird nach und nach umgesetzt. Ziel des Richtlinienvorschlags sind einheitliche Regelungen in den Mitgliedsstaaten und verlässliche Bestimmungen im internationalen Rechtsverkehr. Gläubiger sollen belastbare Regelungen für Krise und Insolvenz vorfinden. Insolvenzen sollen effizient geführt werden, immer im Interesse der Gläubiger und zudem mit der Option, dem redlichen Schuldner einen wirtschaftlichen Neustart zu ermöglichen.

Die wichtigsten Regelungen lt. Entwurf bezogen auf die Regelungen des deutschen Insolvenzrechts sind etwa

  • ZUGANG ZU VERMÖGENSREGISTERN »
  • INSOLVENZANFECHTUNG »
  • PRE-PACK VERFAHREN »
  • INSOLVENZANTRAGSPFLICHTEN »
  • VEREINFACHTES VERFAHREN FÜR KLEINSTUNTERNEHMEN »
  • GLÄUBIGERAUSSCHUSS »

Noch ist es „nur“ eine Richtlinie. Der Richtlinienvorschlag wird vermutlich ab sofort und in den Folgejahren intensiv erörtert und mit Experten, Organisationen und Verbänden diskutiert. Dann werden die Ausschüsse in der EU sich damit befassen und überarbeiten.

Offen ist, mit welchem Inhalt die Richtlinie tatsächlich verabschiedet wird. Er wird in einigen Jahren zur einer – späteren – EU-Richtlinie führen, die im grenzüberschreitenden Bezug erhebliche Auswirkungen haben kann. Auch der deutsche Gesetzgeber ist gefragt, diese in nationales Recht umzusetzen. Nun ist das deutsche Insolvenzrecht bereits recht detailliert und ausgeprägt, so dass sich vermutlich im dt. Recht nicht viel ändern wird, abgesehen evtl. vom Anfechtungsrecht, aber das ist – wie gesagt – offen.

In den anderen Mitgliedsstaaten wird die Richtlinie vermutlich zu gravierenden nationalen Änderungen führen, das bleibt abzuwarten. Für alle Insolvenzverfahren wird jedoch verstärkt der internationale Bezug zu beachten sein.

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Inflationsausgleichsprämie ist pfändbar

4. Januar 2023

AG Köln, Beschluss vom 09.12.2022

Das Amtsgericht – Insolvenzgericht – Köln hat sich mit Beschluss vom 09.12.2022 mit der Pfändbarkeit einer Inflationsausgleichsprämie befasst. Der Antrag eines Insolvenzschuldners auf Freigabe dieser Prämie wurde zurückgewiesen.

Inflationsausgleichsprämie

Ab dem 26. Oktober 2022 können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihren Beschäftigten steuer- und abgabenfrei einen Betrag bis zu € 3.000 gewähren. Hierbei handelt es sich um eine freiwillige Leistung der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.
Nähere Infos unter: www.bundesregierung.de/breg-de/themen/entlastung-fuer-deutschland/inflationsausgleichspraemie

Antrag auf Freigabe

Dem betreffenden Insolvenzschuldner wurde von seinem Arbeitgeber ein Betrag in Höhe von € 1.500,00 als Inflationsausgleichsprämie auf seiner Lohnabrechnung ausgewiesen. Damit erhöhte sich der pfändbare Betrag im Auszahlungsmonat. Diesen führte der Arbeitgeber sodann ordnungsgemäß an die Masse ab. Den Antrag auf Freigabe begründete der Schuldner u.a. damit, dass Inflationsausgleichsprämien genauso unpfändbar seien, wie zuletzt die Corona-Prämien.
Hierbei wurde sich auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.08.2022 (Az. 8 AZR 14/2022) berufen, welches die Unpfändbarkeit von Corona-Prämien bejahte.

Entscheidung des Gerichts

Das Gericht wies den Antrag des Schuldners zurück. Als Begründung wurde angeführt, dass die Prämie freiwillig von Seiten des Arbeitgebers gezahlt werde und daher eher einer Gehaltserhöhung ähnele. Eine Vergleichbarkeit mit Corona-Prämien sei zudem nicht gegeben:

„Die Unpfändbarkeit der Corona-Prämie wurde durch verschiedene Gerichte bejaht. Dadurch sollten jedoch Erschwernisse während der Arbeit ausgeglichen werden, die durch Corona entstanden sind. Sie ist also vielmehr eine Erschwerniszulage.“

Die Inflationsausgleichsprämie hingegen weise keinen Bezug zur Arbeitsleistung auf, sondern mildere ausschließlich die Belastungen durch die Erhöhung der gestiegenen Lebenshaltungskosten ab. Gesetzliche Ausnahmen zur Pfändbarkeit von Inflationsausgleichsprämien bestünden überdies nicht.

Rechtsfolge

Die Inflationsausgleichsprämien ist hiernach wie Arbeitslohn in den Grenzen des § 850c ZPO grundsätzlich pfändbar. D.h. es gelten die Pfändungsfreigrenzen.

Hier geht es zum Beschluss: Zurückweisungsbeschluss Inflat.Prämie

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Aus dem CovInsAG wird das SanInsKG

21. Oktober 2022

Zur Umsetzung des Maßnahmenpakets des Bundes zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen vom 3. September 2022 wird das Insolvenzrecht weiter angepasst. In dem Maßnahmenpaket wurde u.a. eine Erleichterung bei der Insolvenzantragspflicht gefordert, so dass „Unternehmen, die im Kern gesund und auch langfristig unter den geänderten Rahmenbedingungen überlebensfähig sind, (…) ihre Geschäftsmodelle anpassen können.“

Der Bundestag beschloss nunmehr am 20.10.2022 auf Empfehlung des Rechtsausschusses (Drucksache 20/4087) das „Gesetzes zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes“. Zwar hat das Insolvenzrecht keinen unmittelbaren Bezug zu dem Güterrechtsregister, dennoch wurde der Gesetzentwurf im federführenden 6. Rechtsausschuss um die sanierungs- und insolvenzrechtlichen Regelungen ergänzt, um entsprechend schnell auf die aktuellen Verhältnisse und Entwicklungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten reagieren zu können. Denn diese belasten nicht nur die wirtschaftliche Situation von Unternehmen, sondern erschweren insbesondere auch die gesetzlich vorgeschriebene Unternehmensplanung.

Im Ergebnis wird damit das bestehende COVInsAG umbenannt in das „Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen“ (SanInsKG). Das Gesetz soll damit nach dem Willen des Gesetzgebers nicht nur die Folgen der Covid-19 Pandemie erfassen, sondern auch andere Krisenfolgen, wie u.a. die aktuelle Energiekrise, abfedern. Die Erleichterungen bei der Insolvenzantragspflicht gehen mit einer Änderung des § 4 COVInsAG a.F. bzw. nunmehr § 4 SanInsKG einher.

Insbesondere reduziert sich der Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung (§§ 15a, 19 InsO) von zwölf auf vier Monate. Die Planungszeiträume für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen (§§ 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO, 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) reduzieren sich von sechs auf vier Monate. Zudem wird die Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung von sechs auf acht Wochen verlängert. Die Regelungen sollen bis zum 31. Dezember 2023 gelten. Eine generelle Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gibt es somit nicht.

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