Augen auf bei der Prüfung der Zahlungs(un)fähigkeit!

8. Februar 2023

Mit Urteil vom 28.06.2022 hat der II. Senat des BGH festgestellt, dass die Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 S. 1 InsO nicht durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz, sondern auch mit anderen Mitteln dargelegt werden kann.

BGH, Urteil vom 28.06.2022 – II ZR 112/21, NZI 2022, 787

Geschäftsleiter einer juristischen Person müssen nach § 15a Abs. 1 InsO u.a bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag stellen. Der Insolvenzantrag ist dabei spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu stellen. In der Praxis lässt sich jedoch häufig feststellen, dass bei vielen Geschäftsleitern und Beratern erhebliche Unsicherheiten bestehen in Bezug auf die komplizierte rechnerische Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit in Abgrenzung zu einer bloßen Zahlungsstockung. Dies führt zu verspäteten Insolvenzanträgen und damit zu einem erheblichen Haftungsrisiko für die Beteiligten. Verschärft wird diese Situation durch die Rechtsprechung des II. Senats vom 28.06.2022.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH ist von einer Zahlungsunfähigkeit auszugehen, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von zehn Prozent oder mehr besteht und nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Es ist somit im Rahmen einer Zeitraumbetrachtung eine sog. „Liquiditätsbilanz“ zu erstellen, in welcher der Liquiditätsdeckungsgrad unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Summe von Aktiva I und Aktiva II zur Summe von Passiva I und Passiva II errechnet wird.

Der BGH hat nunmehr in seinem Urteil vom 28.06.2022 ausgeführt, dass in der Rechtsprechung des BGH anerkannt sei, dass die Zahlungsunfähigkeit auch auf andere Weise dargelegt werden könne als durch eine solche Zeitraumbetrachtung. So werde es für zulässig erachtet, die Zahlungsunfähigkeit durch einen Liquiditätsstatus auf den Stichtag in Verbindung mit einem Finanzplan für die auf den Stichtag folgenden drei Wochen, in dem tagesgenaue Einzahlungen und Auszahlungen gegenübergestellt werden, darzutun. Es spreche auch nichts dagegen, zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit mehrere tagesgenaue Liquiditätsstatus in aussagekräftiger Anzahl aufzustellen, in denen ausgehend von dem am Stichtag eine erhebliche Unterdeckung ausweisenden Status an keinem der im Prognosezeitraum liegenden bilanzierten Tag die Liquiditätslücke in relevanter Weise geschlossen werden kann. Im konkreten Fall erachtete der II. Senat vier Stichtage als ausreichend an.

Im Ergebnis ist damit festzustellen, dass sich die Haftungsgefahren für Geschäftsleiter in einer wirtschaftlichen Krise durch das Urteil vom 28.06.2022 verschärft haben. Für einen Insolvenzverwalter wird es nun deutlich leichter den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen von Haftungs- und Anfechtungsprozessen darzulegen. Zudem können die verschiedenen Rechenwerke bei gleichem Sachverhalt zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Schließlich ist nicht abschließend geklärt, welches Rechenwerk im jeweiligen konkreten Fall nun das Richtige ist.

Geschäftsleiter sollten daher eine im Rahmen der Krisenfrüherkennung nach § 1 StaRUG vorgeschriebene Unternehmensplanung pflegen, welche auf einer belastbaren und aktuellen Buchhaltung beruht und im Rahmen eines Soll-Ist-Vergleichs regelmäßig angepasst wird. Aus Vorsichtsgründen sollten in einer Liquiditätskrise beide Rechenwerke zur Zahlungsunfähigkeit geprüft werden. Ein frühzeitiges Erkennen von Krisensignalen ermöglicht rechtzeitige und effektive Sanierungsmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Wichtigkeit einer belastbaren Unternehmensplanung gerade in der Krise.

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Fortführungslösung für Reformhaus Bacher

8. Februar 2023

Pressemitteilung

 

Fortführungslösung für Reformhaus Bacher

 

  1. Umfangreiche Restrukturierung stellt Reformhaus Bacher zukunftsfähig auf
  2. Amtsgericht Düsseldorf hebt Eigenverwaltungsverfahren zum 1. Februar 2023 auf
  3. Bundesweit rund 550 Arbeitsplätze sowie 90 Filialen gesichert

 

Düsseldorf, 6. Februar 2023. Mit Beschluss des zuständigen Amtsgerichts in Düsseldorf hat die Reformhaus Bacher GmbH & Co. KG das Eigenverwaltungsverfahren zum 1. Februar 2023 verlassen. „In den zurückliegenden Monaten haben wir eine insgesamt schwierige Zeit durchlebt, aber wir freuen uns nun auf Basis unseres wahrhaft starken Bacher-Teams die Zukunft der verbliebenen neunzig Filialen aktiv zu gestalten“, sagt Dirk Stolpmann, Geschäftsführer der Reformhaus Bacher Beteiligungsgesellschaft mbH. Mit Verfahrensabschluss wurden bundesweit rund 550 Arbeitsplätze gesichert. Zehn defizitäre Filialen wurden geschlossen.

 

Reformhaus Bacher hatte aufgrund der Folgen der Corona-Krise und der inflationsbedingten Kaufzurückhaltung im Juli 2022 einen Prozess gestartet, um das Geschäft zu restrukturieren und sich zukunftsfähig aufzustellen. Neben der Einigung mit den Gläubigern im Rahmen eines Insolvenzplans, der einstimmig angenommen wurde, umfasste die Restrukturierung unter anderem Maßnahmen zur Kostensenkung, Neuverhandlungen von Mietverhältnissen, die Stärkung des Online-Geschäfts sowie die Reorganisation der bestehenden Gesellschaftsstruktur.

 

Ein wesentlicher Bestandteil in diesem Zusammenhang ist auch der Einstieg eines Konsortiums von Investoren mit langjähriger Erfahrung im Bereich der Reformhausbranche, das in Reformhaus Bacher investiert, das Geschäft weiterentwickelt und in eine stabile Zukunft führen will. „Wir möchten allen Beteiligten unseren größten Dank aussprechen, die uns in den vergangenen Monaten aktiv unterstützt haben, um unser Unternehmen und die Arbeitsplätze zu erhalten“, sagt Sascha Schwedler, ebenfalls Geschäftsführer der Reformhaus Bacher Beteiligungsgesellschaft mbH.

 

Es ist auch weiterhin das Ziel von Reformhaus Bacher, den Kundinnen und Kunden ein stets optimales Einkaufserlebnis zu bieten. Ein wesentliches Fundament stellen hier die professionellen Produktkenntnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dar, um – sofern gewünscht – sachkundig die Kaufentscheidungen unterstützen zu können. Es werden auch weiterhin eine Vielzahl an aktuellen und schon fast sprichwörtlich höchstwertigen Produkten angeboten, die speziell auf die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden zugeschnitten sind.

 

Die Reformhaus Bacher GmbH & Co. KG hatte am 1. Juli 2022 beim zuständigen Amtsgericht Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung gestellt. Das Gericht hatte das Verfahren in Eigenverwaltung am 1. September 2022 eröffnet. Die Geschäftsführung war im gesamten Zeitraum handlungs- und weisungsbefugt.

 

Während des gesamten Eigenverwaltungsverfahrens wurde die Geschäftsführung von den Rechtsanwälten Prof. Dr. Peter Neu und Thorsten Kapitza von der auf Insolvenz- und Sanierungsrecht spezialisierten Kanzlei ATN d’Avoine Teubler Neu beraten. Finanzwirtschaftlich wurde das Unternehmen von Anchor Management unterstützt. Bei der Restrukturierung wurde das Unternehmen auch durch den gerichtlich bestellten Sachwalter, dem sanierungserfahrenen Rechtsanwalt Dr. Dirk Andres von der Kanzlei AndresPartner aus Düsseldorf begleitet, dessen Aufgabe es war, die Reformhaus Bacher GmbH & Co. KG im gesamten Verfahren zu überwachen und die Interessen aller Gläubiger zu wahren. Die strukturierte Investorensuche wurde von der CVM GmbH aus Dortmund geführt.

 

Weitere Informationen:

 

Die Reformhaus Bacher GmbH & Co. KG ist ein deutschlandweit tätiges Reformhaus-Filialunternehmen mit Sitz in Düsseldorf. Bundesweit werden 90 Filialen mit rund 550 Beschäftigten betrieben. Internet: www.reformhaus-bacher.de

 

Fotos von Filialen können hier abgerufen werden.

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Pressekontakt

 

FELDMANN Kommunikationsberater

Thomas Feldmann

0178/8550496

feldmann@feldmann-kb.de

www.feldmann-kb.de

Folgen des BGH Urteils vom 27.10.2022

18. Januar 2023

BGH Urteil vom 27.10.2022 zwingt Insolvenzverwalter zu einem geänderten Vorgehen bei Verwertung verpfändeter /abgetretener immaterieller oder sonstiger Rechte

BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff.

Das BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff. bringt die Insolvenzverwalterpraxis zum Nachdenken, wohl auch zu einem geänderten Vorgehen bei Verwertung verpfändeter /abgetretener immaterieller oder sonstiger Rechte. Letztere wurden in der Praxis bei einem Verkauf aus der Insolvenz bisher nach § 166 InsO (analog) behandelt und verwertet, also durch den Insolvenzverwalter selbst, der später gegenüber dem Berechtigten (etwa Darlehnsgeber und Sicherungseigentümer oder Abtretungsempfänger = Zessionar) abrechnen musste. Vorher hat der Verwalter den Sicherheitennehmer zu „befragen“, ob dieser ggf. eine bessere oder günstigere Möglichkeit des Verkaufs bzw. der Verwertung hat, das ergibt sich aus § 168 InsO. Der Sicherheitennehmer kann auch selbst übernehmen, um ggf. eine unterpreisige Verwertung zu vermeiden.
Dieses Vorgehen der Insolvenzverwalter wurde, soweit ersichtlich, in der Praxis bis 2022 nie oder kaum beanstandet, weder von Banken noch von anderen Sicherheitennehmern. Jetzt aber schafft der BGH Klarheit durch das
BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff. , Anm. Bork, EWiR 2023, 15 ff.

Amtl. Leitsatz:

„Das Recht des Insolvenzverwalters, bewegliche Sachen, an denen ein Absonderungsrecht besteht, und zur Sicherheit abgetretene Forderungen des Schuldners zu verwerten, erstreckt sich nicht auf sonstige Rechte.“

1. Grundsätzliches zu den Rechten und Pflichten bei Verwertung in einem Insolvenzverfahren:

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über, § 80 InsO. Verfügungen des Schuldners selbst werden damit unwirksam, § 91 InsO.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen sofort in Besitz und Verwaltung zu nehmen, § 148 InsO. Besondere Herausforderungen stellen sich, wenn der Gegenstand verderblich ist (etwa Ost und Gemüse usw.) oder besonders volatil ist (etwa Aktien, Finanztitel, Kryptoassets usw.) Dann kommt es besonders auf den Zeitpunkt und die Art und Weise der Verwertung – im besten Sinn der Gläubiger – an. Darüber mag durchaus gestritten werden, leider passiert das oft nachträglich.
Nach dem Berichtstermin – in der Praxis ca. 6 bis 8 Wochen nach der Eröffnung – hat der Insolvenzverwalter unverzüglich das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwerten, soweit die Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht entgegenstehen, § 159 InsO. Der Insolvenzverwalter sucht daher nach optimalen Wegen einer Verwertung, freihändig oder auf andere Weise. Bei relevanten Entscheidungen ist die Gläubigerversammlung zu informieren, die entscheiden kann, aber sie muss es nicht zwingend. Dazu bestimmt § 160 InsO:
„Der Insolvenzverwalter hat die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn er Rechtshandlungen vornehmen will, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind. Ist ein Gläubigerausschuß nicht bestellt, so ist die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen. Ist die einberufene Gläubigerversammlung beschlussunfähig, gilt die Zustimmung als erteilt; auf diese Folgen sind die Gläubiger bei der Einladung zur Gläubigerversammlung hinzuweisen.“

2. Speziell Verwertung von Immobilien in der Insolvenz – Abgrenzung zu Mobilien

Anders ist es bei Grund und Boden und Gebäuden: Grds. können Immobilien, die mit Rechten (Hypotheken oder Grundschulden) Dritter belastet sind, nicht von einem Insolvenzverwalter freihändig verkauft werden. § 165 InsO sagt dazu: „Der Insolvenzverwalter kann beim zuständigen Gericht die Zwangsversteigerung oder die Zwangsverwaltung eines unbeweglichen Gegenstands der Insolvenzmasse betreiben, auch wenn an dem Gegenstand ein Absonderungsrecht besteht“.
Ergänzt wird § 165 InsO durch § 173 Abs. 1 InsO: „Soweit der Insolvenzverwalter nicht zur Verwertung einer beweglichen Sache oder einer Forderung berechtigt ist, an denen ein Absonderungsrecht besteht, bleibt das Recht des Gläubigers zur Verwertung unberührt.“
Mit anderen Worten: der Insolvenzverwalter ist bei belasteten Grundstücken i.d.R. an einem freihändigen Verkauf gehindert. Er kann und sollte sich mit den/dem Berechtigten abstimmen und ggf. eine (schriftliche) Vereinbarung über Art und Weise sowie Erlösverteilung treffen. Gelingt keine Einigung, gibt es noch einen sog. „Verwertungsantrag“ beim Insolvenzgericht, § 173 Abs. 2 InsO: „Auf Antrag des Verwalters und nach Anhörung des Gläubigers kann das Insolvenzgericht eine Frist bestimmen, innerhalb welcher der Gläubiger den Gegenstand zu verwerten hat. Nach Ablauf der Frist ist der Verwalter zur Verwertung berechtigt.“ So wird der Insolvenzverwalter frei bei der Verwertung auch von Immobilien.
Einfacher ist es bei Mobilien, auch wenn diese etwa unter Sicherungseigentum liegen: Gemäß § 166 Abs. 1 InsO darf der Insolvenzverwalter eine bewegliche Sache, an der ein Absonderungsrecht besteht, freihändig verwerten, wenn er die Sache in seinem Besitz hat. Gemäß § 166 Abs. 2 InsO darf der Insolvenzverwalter zudem eine Forderung, die der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten hat, einziehen oder in anderer Weise verwerten.

3. Verwertung sonstiger Rechte – welches Recht gilt?

Nach dem Gesetzeswortlaut sind sonstige Rechte nicht der Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterworfen. Die Frage, ob § 166 InsO auf sonstige Rechte (z.B. Geschäftsanteile, Erbteile, Mitgliedschaften, gewerbliche Schutzrechte, Marken, Patente, Kryptoassets u.a.) entsprechend anzuwenden ist, mithin ob auch insoweit ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters besteht, war umstritten. Der Bundesgerichtshof hatte die Frage bis 2022 offenlassen können (vgl. Urteil vom 24. September 2015 – IX ZR 272/13, BGHZ 207, 23 Rn. 19). Der IX. Senat entschied am 27.10.2022 den Meinungsstreit dahin, dass § 166 InsO auf sonstige Rechte nicht entsprechend anzuwenden ist. Damit läuft die Verwertung von „sonstigen Rechten“ so wie die von Immobilien.

4. Bewertung des Urteils vom 24.09.2022

Das Urteil findet in breiten Teilen der Literatur kleine Zustimmung. In den Verfahren kommt es oft auf rasches Handeln durch Profis an, um für die Gläubiger gute Ergebnisse zu erreichen. Praktisch ist daher ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters analog § 166 InsO, denn die einheitliche Verwertung von allen belasteten Gegenstände und Forderungen der Insolvenzmasse ist zur Wahrung der Chancen einer Betriebsfortführung, einer Planlösung oder übertragenden Sanierung zusammenzuhalten (Braun/Dithmar, 9. Aufl. 2022, InsO § 166 Rn. 30). Es wird auch unter Verweis auf die Gesetzgebungsgeschichte ein „Versehen des Gesetzgebers“ bei der Abfassung der Norm angeführt. Die Funktion des § 166 InsO ist jedenfalls – auch – die Vermeidung eines „Auseinanderreißens“ des Unternehmens im Interesse der Wahrung von Sanierungschancen einerseits und Ermöglichung einer gemeinsamen wirtschaftlichen Verwertung zusammengehöriger Gegenstände andererseits.
Daher kommt die Literatur auch zur einer (wenigstens) analogen Anwendung der Vorschrift, zum Teil ausdrücklich entweder von § 166 Abs. 1 InsO oder von § 166 Abs. 2 InsO. Das gilt jedenfalls für solche Rechte, die zur technisch-organisatorischen Einheit des Unternehmens gehören (vgl. AG Hamburg, ZIP 2021, 1985, 1986 f; Schmidt/Sinz, InsO, 19. Aufl., § 166 Rn. 37; HK-InsO/Hölzle, 10. Aufl., § 166 Rn. 44 f, 48; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2022, § 166 Rn. 20; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, 15. Aufl., § 166 Rn. 35 ff.; HmbKomm-InsR/Scholz, 9. Aufl., § 166 InsO Rn. 28; Hirte in Festschrift Gero Fischer, 2008, S. 239, 249 ff; Häcker, Abgesonderte Befriedigung aus Rechten, Rn. 262 ff, 309; ders., ZIP 2001, 995, 997 ff (auch speziell zu Markenrechten); Marotzke, ZZP 109, 429, 449 f; Bitter/ Alles, KTS 2013, 113, 138 ff; Bitter, ZIP 2015, 2249 ff; Berger/Tunze, ZIP 2020, 52, 61; Keller, ZIP 2020, 1052, 1056 f).
Die Gegenauffassung stellte auf den Wortlaut der Vorschrift ab, eine planwidrige Regelungslücke bestünde nicht (MüKoInsO/Kern, 4. Aufl. 2019, InsO § 166 Rn. 103). Zudem komme angesichts der Tragweite einer Analogie im Hinblick auf eine Grundrechtseinschränkung nach Art. 14 GG nicht in Betracht.

5. Argumente des BGH im Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff.

Der BGH entscheidet mit Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff. diesen Streit und lehnt eine Analogie des § 166 InsO auf sonstige Rechte mit folgenden Argumenten ab:

  • Wortlaut und Systematik der Insolvenzordnung sprächen gegen eine Planwidrigkeit der Regelungslücke: So unterscheide das Gesetz an anderen Stellen ausdrücklich zwischen körperlichen Gegenständen, Forderungen und sonstigen rechten (vgl. § 90 BGB, § 413 BGB, §§ 829, 857 ZPO), im § 166 InsO sollten die sonstigen Rechte aber offensichtlich bewusst nicht geregelt werden.
  • Aus der Gesetzgebungsgeschichte lasse sich nicht auf eine Planwidrigkeit einer Regelungslücke schließen.
  • Zudem erfordere auch der Erhalt des technisch-organisatorischen Verbundes des schuldnerischen Unternehmens nicht zwingend die analoge Anwendung des § 166 InsO. So stünde dem Insolvenzverwalter beispielsweise auch bei mit Aussonderungsrechten belasteten Gegenständen (ein in der Praxis nicht unerheblicher Anteil des Unternehmens) kein Verwertungsrecht zu. Bei sonstigen Rechten sei die Interessenlage nicht vergleichbar mit Absonderungsrechten belasteten Gegenständen und Forderungen, denn die Unternehmenszugehörigkeit könne dort (z.B. bei nichtverbrieften Geschäftsanteilen) anders zu beurteilen sein und müsse daher immer im Einzelfall geprüft und festgestellt werden.

6. Fazit zum BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff.

Die Insolvenzverwalterpraxis hat sich nach dem BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff., zu richten. Das hatten Teile der Literatur auch vorher schon so gesehen (vgl. Jaeger/Eckardt, InsO, § 166 Rn. 436 f; Bornheimer/Westkamp in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, 3. Aufl., § 29 Rn. 336; Tresselt, DB 2016, 514, 517 f).
Das fehlende Verwertungsrecht muss nun durch den Abschluss entsprechender Nutzungs- und Verwertungsvereinbarungen zwischen Verwalter und Sicherungsnehmer gelöst werden. Das ist meist zeitintensiv und konfliktbehaftet. Nicht wenige Verwertungen dürften am Disput zwischen den Protagonisten scheitern oder – manchmal recht spät – nur mäßige Ergebnisse bringen. Es kann nur geraten werden, so rasch wie möglich Wertgegenstände zu identifizieren und auch zu klären, wer ggf. welche Rechte an diesen Gegenständen haben könnte. Sodann sind Gespräche mit dem Sicherungsnehmer aufzunehmen mit dem Ziel eines konzertierten Vorgehens und einer optimalen Verwertung bei angemessener Aufteilung der Erlöse.

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Neuer Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Harmonisierung des Insolvenzrechts

13. Januar 2023

EU-Kommission veröffentlicht am 7. Dezember 2022 den Richtlinienvorschlag mit div. Themen und Direktiven für die Mitgliedstaaten

Das StaRUG trat am 1. Januar 2021 in Kraft, wodurch die EU-Restrukturierungsrichtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen in deutsches Recht umgesetzt wurde. Nun kommt der nächste Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vom 7. Dezem¬ber 2022. Dieser Richtlinienvorschlag zielt auf eine Harmonisierung bestimmter Aspek¬te der mitgliedsstaatlichen Insolvenzvorschriften ab. Auch sollen Mindest¬stan¬dards sichergestellt und grenzüberschreitende Investitionen erleichtert werden.

Der Richtlinienvorschlag wird sicher noch diskutiert, dann überarbeitet und nach Befragung div. Organisationen und Verbände angepasst werden. Er wird in einigen Jahren zur einer – späteren – EU-Richtlinie führen, die im grenzüberschreitenden Bezug erhebliche Auswirkungen haben kann. Allerdings ist das deutsche Insolvenzrecht bereits recht detailliert und ausgeprägt, so dass sich vermutlich im dt. Recht nicht viel ändern wird.

Die Harmonisierung des Insolvenzrechts ist Teil des Aktionsplans zur Förderung der EU-Kapitalmarktunion. Das wird nach und nach umgesetzt. Ziel des Richtlinienvorschlags sind einheitliche Regelungen in den Mitgliedsstaaten und verlässliche Bestimmungen im internationalen Rechtsverkehr. Gläubiger sollen belastbare Regelungen für Krise und Insolvenz vorfinden. Insolvenzen sollen effizient geführt werden, immer im Interesse der Gläubiger und zudem mit der Option, dem redlichen Schuldner einen wirtschaftlichen Neustart zu ermöglichen.

Die wichtigsten Regelungen lt. Entwurf bezogen auf die Regelungen des deutschen Insolvenzrechts sind etwa

  • ZUGANG ZU VERMÖGENSREGISTERN »
  • INSOLVENZANFECHTUNG »
  • PRE-PACK VERFAHREN »
  • INSOLVENZANTRAGSPFLICHTEN »
  • VEREINFACHTES VERFAHREN FÜR KLEINSTUNTERNEHMEN »
  • GLÄUBIGERAUSSCHUSS »

Noch ist es „nur“ eine Richtlinie. Der Richtlinienvorschlag wird vermutlich ab sofort und in den Folgejahren intensiv erörtert und mit Experten, Organisationen und Verbänden diskutiert. Dann werden die Ausschüsse in der EU sich damit befassen und überarbeiten.

Offen ist, mit welchem Inhalt die Richtlinie tatsächlich verabschiedet wird. Er wird in einigen Jahren zur einer – späteren – EU-Richtlinie führen, die im grenzüberschreitenden Bezug erhebliche Auswirkungen haben kann. Auch der deutsche Gesetzgeber ist gefragt, diese in nationales Recht umzusetzen. Nun ist das deutsche Insolvenzrecht bereits recht detailliert und ausgeprägt, so dass sich vermutlich im dt. Recht nicht viel ändern wird, abgesehen evtl. vom Anfechtungsrecht, aber das ist – wie gesagt – offen.

In den anderen Mitgliedsstaaten wird die Richtlinie vermutlich zu gravierenden nationalen Änderungen führen, das bleibt abzuwarten. Für alle Insolvenzverfahren wird jedoch verstärkt der internationale Bezug zu beachten sein.

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Inflationsausgleichsprämie ist pfändbar

4. Januar 2023

AG Köln, Beschluss vom 09.12.2022

Das Amtsgericht – Insolvenzgericht – Köln hat sich mit Beschluss vom 09.12.2022 mit der Pfändbarkeit einer Inflationsausgleichsprämie befasst. Der Antrag eines Insolvenzschuldners auf Freigabe dieser Prämie wurde zurückgewiesen.

Inflationsausgleichsprämie

Ab dem 26. Oktober 2022 können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihren Beschäftigten steuer- und abgabenfrei einen Betrag bis zu € 3.000 gewähren. Hierbei handelt es sich um eine freiwillige Leistung der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.
Nähere Infos unter: www.bundesregierung.de/breg-de/themen/entlastung-fuer-deutschland/inflationsausgleichspraemie

Antrag auf Freigabe

Dem betreffenden Insolvenzschuldner wurde von seinem Arbeitgeber ein Betrag in Höhe von € 1.500,00 als Inflationsausgleichsprämie auf seiner Lohnabrechnung ausgewiesen. Damit erhöhte sich der pfändbare Betrag im Auszahlungsmonat. Diesen führte der Arbeitgeber sodann ordnungsgemäß an die Masse ab. Den Antrag auf Freigabe begründete der Schuldner u.a. damit, dass Inflationsausgleichsprämien genauso unpfändbar seien, wie zuletzt die Corona-Prämien.
Hierbei wurde sich auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.08.2022 (Az. 8 AZR 14/2022) berufen, welches die Unpfändbarkeit von Corona-Prämien bejahte.

Entscheidung des Gerichts

Das Gericht wies den Antrag des Schuldners zurück. Als Begründung wurde angeführt, dass die Prämie freiwillig von Seiten des Arbeitgebers gezahlt werde und daher eher einer Gehaltserhöhung ähnele. Eine Vergleichbarkeit mit Corona-Prämien sei zudem nicht gegeben:

„Die Unpfändbarkeit der Corona-Prämie wurde durch verschiedene Gerichte bejaht. Dadurch sollten jedoch Erschwernisse während der Arbeit ausgeglichen werden, die durch Corona entstanden sind. Sie ist also vielmehr eine Erschwerniszulage.“

Die Inflationsausgleichsprämie hingegen weise keinen Bezug zur Arbeitsleistung auf, sondern mildere ausschließlich die Belastungen durch die Erhöhung der gestiegenen Lebenshaltungskosten ab. Gesetzliche Ausnahmen zur Pfändbarkeit von Inflationsausgleichsprämien bestünden überdies nicht.

Rechtsfolge

Die Inflationsausgleichsprämien ist hiernach wie Arbeitslohn in den Grenzen des § 850c ZPO grundsätzlich pfändbar. D.h. es gelten die Pfändungsfreigrenzen.

Hier geht es zum Beschluss: Zurückweisungsbeschluss Inflat.Prämie

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Aus dem CovInsAG wird das SanInsKG

21. Oktober 2022

Zur Umsetzung des Maßnahmenpakets des Bundes zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen vom 3. September 2022 wird das Insolvenzrecht weiter angepasst. In dem Maßnahmenpaket wurde u.a. eine Erleichterung bei der Insolvenzantragspflicht gefordert, so dass „Unternehmen, die im Kern gesund und auch langfristig unter den geänderten Rahmenbedingungen überlebensfähig sind, (…) ihre Geschäftsmodelle anpassen können.“

Der Bundestag beschloss nunmehr am 20.10.2022 auf Empfehlung des Rechtsausschusses (Drucksache 20/4087) das „Gesetzes zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes“. Zwar hat das Insolvenzrecht keinen unmittelbaren Bezug zu dem Güterrechtsregister, dennoch wurde der Gesetzentwurf im federführenden 6. Rechtsausschuss um die sanierungs- und insolvenzrechtlichen Regelungen ergänzt, um entsprechend schnell auf die aktuellen Verhältnisse und Entwicklungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten reagieren zu können. Denn diese belasten nicht nur die wirtschaftliche Situation von Unternehmen, sondern erschweren insbesondere auch die gesetzlich vorgeschriebene Unternehmensplanung.

Im Ergebnis wird damit das bestehende COVInsAG umbenannt in das „Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen“ (SanInsKG). Das Gesetz soll damit nach dem Willen des Gesetzgebers nicht nur die Folgen der Covid-19 Pandemie erfassen, sondern auch andere Krisenfolgen, wie u.a. die aktuelle Energiekrise, abfedern. Die Erleichterungen bei der Insolvenzantragspflicht gehen mit einer Änderung des § 4 COVInsAG a.F. bzw. nunmehr § 4 SanInsKG einher.

Insbesondere reduziert sich der Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung (§§ 15a, 19 InsO) von zwölf auf vier Monate. Die Planungszeiträume für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen (§§ 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO, 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) reduzieren sich von sechs auf vier Monate. Zudem wird die Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung von sechs auf acht Wochen verlängert. Die Regelungen sollen bis zum 31. Dezember 2023 gelten. Eine generelle Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gibt es somit nicht.

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StaRUG: Änderungen im Planverfahren u.a.

4. Oktober 2022

Die EU-Richtlinie 2019/1023 über „…Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren…“ (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) führte zum deutschen Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG). Das SanInsFoG gilt seit dem 01.01.2021 und beinhaltet vor allem das „Unternehmensstabilisierungs- und –restrukturierungsgesetz“ (StaRUG) mit den Möglichkeiten eines Restrukturierungsplans.

1. Grundkonzept präventiver Restrukturierungsrahmen und Restrukturierungsplan

Der präventive Restrukturierungsrahmen ist das Kernstück des StaRUG. Es handelt sich um ein (vorinsolvenzliches) gerichtsarm ausgestaltetes Sanierungsinstrument. Strukturell siedelt sich der Restrukturierungsrahmen zwischen dem Insolvenzplanverfahren, welches ebenso einer Mehrheitsentscheidung der Gläubiger bedarf, und der außergerichtlichen Sanierung, die nur im Konsens aller Gläubiger erfolgen kann, an.

Die Umsetzung eines Restrukturierungsvorhabens gegen den Widerstand einzelner Gläubiger war bis zum StaRUG nur im Insolvenzplanverfahren möglich, welches aber ebenso kostspielig wie zeitintensiv sein kann. Die außergerichtliche Sanierung hingegen ist auf die Kooperation aller Gläubiger angewiesen, sodass einzelne Gläubiger das außergerichtliche Sanierungsvorhaben blockieren können. Dieses Bewusstsein der Gläubiger hemmt die Bereitschaft, Eingeständnisse im außergerichtlichen Sanierungsverfahren zu machen.

Der Restrukturierungsrahmen steht nach § 29 Abs. 1 StaRUG allen Unternehmen offen, die „nur“ drohend zahlungsunfähig i.S.v. § 18 InsO sind. Eine drohende Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Das SanInsFoG bestimmt den Prognosezeitraum auf regelmäßig 24 Monate. Die Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit verlangt zudem die vollständige richterliche Überzeugung, die im Rahmen der Amtsermittlung nach § 39 Abs. 1 S. 1 StaRUG zu bilden ist (vgl. AG Köln, Beschluss vom 3.3.2021 – 83 RES 1/21).

Das Restrukturierungsvorhaben wird maßgeblich durch den Restrukturierungsplan (§§ 5 ff. StaRUG) geprägt, wobei die Planinitiative vom Schuldner ausgehen muss. Dieser hat das Restrukturierungsvorhaben gem. § 17 Abs. 1 StaRUG nach Maßgabe des vorgelegten Plans durch eigenständige Verhandlungen mit seinen Gläubigern voranzutreiben. Etwaige Vollstreckungs- bzw. Verwertungssperren bedürfen jedoch einer gerichtlichen Anordnung.

Zudem kann beim zuständigen Restrukturierungsgericht ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt werden, dem jedoch, anders als im Insolvenzverfahren, nur eine moderierende Aufgabe zukommt. Sollen im Rahmen des von der Schuldnerin vorgelegten Restrukturierungsplans indes die Rechte von mittleren, kleinen und Kleinstunternehmern mitgestaltet werden, so muss nach § 73 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StaRUG von Amts wegen ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt werden. Ziel der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten ist es, für eine sachgerechte Interessenwahrung für die vom Restrukturierungsplan betroffenen Gläubiger zu sorgen.

Das Planangebot des Schuldners steht gem. § 18 StaRUG unter der Bedingung, „dass sämtliche Planbetroffene zustimmen oder dass der Plan gerichtlich bestätigt wird“. Um zu verhindern, dass ein Restrukturierungsvorhaben an dem Widerstand einzelner, z.T. geringfügig tangierter, Gläubiger scheitert, werden die Planbetroffenen entsprechend ihres rechtlichen Status und dem Umfang ihrer Gläubigerstellung in Gruppen eingeordnet, die dann repräsentativ an der Abstimmung über das Planangebot des Schuldners teilnehmen. Innerhalb der einzelnen Gruppen genügt gem. § 25 Abs. 1 StaRUG zur Planzustimmung eine qualifizierte Gläubigermehrheit von 75 Prozent.

2. Änderungen des StaRUG in Bezug auf den Restrukturierungsplan per 27.07.2022

Das StaRUG ist bereits zum 27.07.2022 geändert worden, und zwar durch Artikel 12 des „Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften“. Bisher sah § 45 Abs. 3 StaRUG vor, dass die Planbetroffenen zum Abstimmungstermin über den Restrukturierungsplan zu laden sind, was aber durchaus ohne gleichzeitige Versendung des Plans vor dem Termin an die Planbetroffenen geschehen konnte. Nunmehr muss schon mit der Ladung zum Anhörungstermin nach § 48 StaRUG auch der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beigefügt werden. Erfolgt das nicht, kann das Gericht die Bestätigung des Plans verweigern, § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Es reicht aber aus, wenn der aktuelle Planentwurf beigefügt wird.

Die betroffenen Gläubiger sollen rechtzeitig informiert werden, was sich erklärt, wenn in ihre Rechte eingegriffen werden soll. Die Zustellung macht das Gericht aber in der Regel nicht selbst, sondern übertragt diese Obliegenheit auf den Schuldner, § 45 Abs. 3 S. 3 StaRUG, der dann mit der Zustellung der Ladung zum Abstimmungstermin auch den Plan bzw. den aktuellen Entwurf nebst Anlagen übersendet.

Danach ist aber wieder das Gericht originär aktiv. Nach § 65 Abs. 2 S. 2 StaRUG muss das Gericht einen im Abstimmungstermin geänderten Plan (Regelfall) nach Bestätigung zwingend an die Planbetroffenen versenden. Bei unverändertem Plan muss das Gericht jedenfalls den Hinweis auf die Bestätigung an alle Planbetroffenen versenden.

In vielen Fällen sind mehrere Dutzend Gläubiger betroffen, mitunter auch mehr als 100. Wenn das Gericht den Plan mit Kopien/Abschriften zustellen muss, kann das bei der Justiz logistische Herausforderung bedeuten, was zu Verzögerungen führen kann. Nun eilen die Sachen aber meist, weil die Pläne i.d.R. Fristen und Termin sowie Stichtage enthalten. Um auch hier schneller zu werden, wäre eine weitere gesetzliche Änderung sinnvoll, nämlich die erweiterte Möglichkeit der Übertragung der Versendung an den Schuldner oder Restrukturierungsbeauftragten. Abzuwarten bleibt, ob das StaRUG noch einmal angepasst wird.

3. Speziell: Versagung der Bestätigung des Plans bei fehlerhafter Unternehmensbewertung im Rahmen des „nächstbesten Szenarios“ nur bei Antrag eines Gläubigers und vorherigem Widerspruch dieses Gläubigers im Abstimmungstermin

§ 63 Abs. 2 StaRUG regelt jetzt (neu), dass im Falle einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung („cross-class-cram-down“) die Bestätigung des Plans wegen fehlerhafter Bewertung des nächstbesten Alternativszenarios nur sofort und nur unter bestimmten Bedingungen versagt werden kann: Ein hierdurch benachteiligter Planbetroffener muss dies im Wege der sofortigen Beschwerde beantragen. Ein solcher Antrag ist nur dann zulässig, wenn der Planbetroffene zuvor im Abstimmungstermin ausdrücklich widersprochen hat. Kommt der Widerspruch nicht, ist auch die sofortige Beschwerde unzulässig. Es reicht daher nicht, im Abstimmungstermin zu fehlen. Das wirkt zwar wie eine Gegenstimme zum Plan, jedoch ist das halt noch kein Widerspruch gegen den Plan.

4. Restrukturierungsbeauftragter mit neuen Aufgaben

Eine relevante Figur im Restrukturierungsverfahren ist der Restrukturierungsbeauftragte (RB). Nach dem neuen § 76 Abs. 2 Nr. 4 StaRUG hat der von Amts wegen bestellte RB nun auch die Aufgabe, den Schuldner und die Gläubiger bei der Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungskonzepts und des auf ihm basierenden Plans zu unterstützen. Das hat der aktive und kreative RB auch schon vor der Gesetzesänderung als seine – allerdings untergeordnete – Aufgabe verstanden und unterstützt; nun ist es Teil des StaRUG.

Der RB arbeitet nach Stundensätzen, welche das Gericht festsetzt, meist zwischen € 250,00 und € 300,00 /h + USt., in begründeten Ausnahmefällen auch höher. Die neuen Aufgaben werden die Kosten des Restrukturierungsbeauftragten jetzt erhöhen, der RB ist halt stärker eingebunden und länger aktiv. Damit entfernt sich der Gesetzgeber etwas von dem Ansatz eines kostengünstigen Sanierungsverfahrens. Zudem erscheint die Neureglung wegen der grds. Unabhängigkeit und Neutralität des Restrukturierungsbeauftragten schwierig. Er war nach der Grundkonzeption ein überwachender Mediator. Der „neue“ Restrukturierungsbeauftragte soll jetzt den Plan mitausarbeiten und mitverhandeln. Das Dilemma sollte bedacht werden; der umsichtige RB wird in der Praxis seine Tätigkeiten genau abzuwägen haben. Zudem wird er das Gericht exakt über alle Tätigkeiten, Mitwirkungen und Schritte per Bericht zu informieren haben, damit evtl. Konflikte jedenfalls rechtzeitig aktenkundig und damit allen Beteiligten bekannt sind.

5. FAZIT: StaRUG und ESUG

ESUG 2011 und StaRUG 2021/2022 enthalten heute diverse wirksame Sanierungsinstrumente. Der Restrukturierungsrahmen kennt einen Plan, der dem im Insolvenzplanverfahren ähnelt. In allen Fällen werden grds. Mehrheitsentscheidungen der Gläubiger notwendig. Aber die Umsetzung eines Plans oder Restrukturierungsvorhabens gegen den Widerstand einzelner Gläubiger ist durchaus möglich. Die „deutsche Antwort“ auf das englische Scheme of arrangement passt.

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Arbeitszeiterfassung – Sensation oder alter Wein in neuen Schläuchen?

16. September 2022

Mit einem als Sensation gefeierten oder als Katastrophe verdammten Urteil hat das Bundesarbeitsgericht am 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 – angeblich entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, Zeiterfassungssysteme einzuführen, mit denen die Arbeitszeit der Arbeitnehmer erfasst werden kann.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich zunächst, dass es sich bei der Entscheidung vom 13.09.2022 nicht um ein Urteil, sondern um einen Beschluss handelt. Mit diesem wurde auch nicht ein Arbeitgeber verurteilt, weil er keine Zeiterfassung eingeführt hatte, vielmehr wurde der Antrag eines Betriebsrats gegen einen Arbeitgeber zurückgewiesen, mit dem der Betriebsrat erreichen wollte, dass mit ihm über die Einführung eines Zeiterfassungssystems verhandelt wird. Schließlich zeigt sich, dass das Bundesarbeitsgericht gar keine generellen Vorgaben aufgestellt hat, sondern auf die gesetzliche Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG Bezug nimmt. Dort heißt es auszugsweise:

§ 3 Grundpflichten des Arbeitgebers

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. …
(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten

  1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie
  2. Vorkehrungen zu treffen, dass die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen können.

Die Gründe für die Entscheidung liegen noch nicht vor; veröffentlicht wurde zunächst eine Pressemitteilung des Gerichts. Dieser Mitteilung ist aber zu entnehmen, dass eine elektronische Zeiterfassung in dem konkreten Betrieb, um den es in der Entscheidung ging, aufgrund der Art und Größe des Betriebs erforderlich war, um den Betrieb zu organisieren. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass der EuGH bereits am 14.05.2019 – C 55/18 – in einer viel beachteten und scheinbar schnell vergessenen Entscheidung vorgegeben hatte, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, eine objektive und verlässliche Erfassung der Arbeitszeiten zur Verfügung zu stellen. Hierbei stellte der EuGH klar, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer Zugriff auf die Daten zur tatsächlich geleisteten Arbeitszeit haben müssen, um ggfs. erforderliche Nachweise führen zu können.

Vor diesem Hintergrund erscheint die jetzige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wenig erstaunlich: Die elektronische Erfassung von Arbeitszeiten ist eine gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers, wenn es aufgrund der Struktur und Größe des Betriebs erforderlich ist, die Zeiten elektronisch zu erfassen. Weil es sich um eine gesetzliche Pflicht handelt, hat der Betriebsrat nur in ganz engen Grenzen Mitbestimmungsrechte.

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Insolvenz und Steuererstattungen

1. September 2022

Steuererstattungsbescheide des FA auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig

BFH Urteil vom 05. April 2022, IX R 27/18

Steuerbescheide, mit denen eine positive Steuer festgesetzt wird, können ausnahmsweise auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam ergehen, wenn sich unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen insgesamt ein Erstattungsbetrag ergibt. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 05.04.2022 – IX R 27/18 entschieden, BFH Urteil vom 05. April 2022, IX R 27/18. Das Finanzamt habe keine Insolvenzforderung festgesetzt, die nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann, so das Gericht. (Urteil vom 05.04.2022 – IX R 27/18)

ECLI:DE:BFH:2022:U.050422.IXR27.18.0
BFH IX. Senat

AO § 125 Abs 1, AO § 251 Abs 2 S 1, AO § 251 Abs 3, EStG § 17 Abs 1 S 1, EStG § 17 Abs 4 S 1, EStG § 4 Abs 1, EStG § 5 Abs 1, InsO § 174 Abs 1 S 1, InsO § 87, EStG VZ 2014
vorgehend FG Düsseldorf, 04. Oktober 2018, Az: 11 K 1921/16 E

Leitsätze

1. Steuerbescheide, mit denen eine positive Steuer festgesetzt wird, können ausnahmsweise auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam ergehen, wenn sich unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen insgesamt ein Erstattungsbetrag ergibt und auch keine Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe von Steuerforderungen beeinflussen, welche zur Tabelle anzumelden sind.

2. Wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt, entsteht ein Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG nicht bereits zu dem Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Bestätigung des Senatsurteils vom 13.03.2018 – IX R 38/16, BFH/NV 2018, 721).

Vorliegend ging es um einen – unstreitigen – Erstattungsbetrag wegen einbehaltener Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer, der mit Bescheid nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens festgesetzt worden war.

Im Streitfall reichte der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen eines Ehepaars eine Einkommensteuererklärung beim Finanzamt ein. Dieses setzte die Einkommensteuer erklärungsgemäß in Höhe von rund 29.000 EUR fest. Unter Berücksichtigung einbehaltener Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer ergab sich ein Erstattungsbetrag in Höhe von rund 2.500 EUR. Dagegen wandte sich der Kläger mit Einspruch und Klage und machte geltend, das Finanzamt dürfe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine (förmlichen) Bescheide mehr erlassen, sondern nur noch (einfache) Abrechnungen erstellen.

Ausnahme für sogenannte Nullbescheide

Dem ist der BFH nicht gefolgt und hat die Handhabung der Finanzverwaltung bestätigt. Zwar dürften Steuerbescheide nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr ergehen, wenn darin Insolvenzforderungen festgesetzt werden. Vielmehr müsse das Finanzamt Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zur Tabelle anmelden. Eine Ausnahme gelte für sogenannte Nullbescheide sowie für Umsatzsteuerbescheide, mit denen eine negative Steuer festgesetzt wird und aus denen sich keine Zahllast ergibt.

Entschiedener Fall vergleichbar

Ein vergleichbarer Ausnahmefall liegt nach Ansicht des BFH auch dann vor, wenn sich – trotz positiver Steuer – unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen eine Erstattung ergibt. Einem derartigen Bescheid fehle die abstrakte Eignung, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Denn damit habe das Finanzamt keine Insolvenzforderung festgesetzt, die nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann.

Bundesfinanzhof Urteil vom 05.04.2022, IX R 27/18

BFH Urteil vom 05. April 2022, IX R 27/18

ECLI:DE:BFH:2022:U.050422.IXR27.18.0

BFH IX. Senat

AO § 125 Abs 1, AO § 251 Abs 2 S 1, AO § 251 Abs 3, EStG § 17 Abs 1 S 1, EStG § 17 Abs 4 S 1, EStG § 4 Abs 1, EStG § 5 Abs 1, InsO § 174 Abs 1 S 1, InsO § 87, EStG VZ 2014
vorgehend FG Düsseldorf, 04. Oktober 2018, Az: 11 K 1921/16 E

https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fzeits%2Ffdinsr%2F2022%2F450816.htm&pos=3&hlwords=on

siehe auch:
Harder, Steuerliche Erstattungsansprüche in der Insolvenz – Haftungsfalle für Insolvenzverwalter, VIA 2022, 1

BFH, Erlass eines „Erstattungsbescheids“ nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ZRI 2021, 95

FG Düsseldorf, Erlass eines Einkommensteuerbescheids nach Insolvenzeröffnung: Erstattungsanspruch nach Abrechnung – Durchbrechung der Bestandskraft der Steuerfestsetzung bei nachträglicher Anmeldung einer Insolvenzforderung, BeckRS 2018, 28425 (Vorinstanz)

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Energiepreispauschale (EPP) und Sanierung in Eigenverwaltung

31. August 2022

Bekanntlich agiert der Staat in der Energiekrise mit div. Maßnahmen. Im Zuge der steigenden Energiepreise hat der Gesetzgeber zur Entlastung der Verbraucher die einmalige Zahlung einer „Energiepreispauschale“ von € 300,00 beschlossen. Auch die Arbeitnehmer*innen von Unternehmen im Eigenverwaltungsverfahren wollen in den Genuss der Energiepreispauschale kommen. Die ist aber nicht insolvenzgeldfähig.

Grundlagen:

Mit der per Steuerentlastungsgesetz 2022 verabschiedeten Energiepreispauschale sollen die sprunghaft gestiegenen Energiekosten sozial gerecht abgefedert werden. Nach Verlautbarung des Gesetzgebers ist sie ein Ausgleich für die kurzfristig gestiegenen erwerbsbedingten Wegeaufwendungen. Der am 01.09.2022 entstehende Anspruch auf i.H.v. 300 € beschäftigt die Gesellschaft aber auch Juristen. In der insolvenzrechtlichen Praxis ist etwa die Frage nach der Pfändbarkeit der EPP und mit ihr der Insolvenzbeschlag von Bedeutung. Die gesetzlichen Regelungen zur EPP (§ 112 ff. EStG) machen zur Frage der (Un-)Pfändbarkeit jedoch keine Angaben.

In den vom BMF veröffentlichten FAQs (Ziff. VI. 27 und XI.) findet sich lediglich die Frage, ob die EPP als Arbeitslohn pfändbar ist (Antwort: „Die EPP ist von einer Lohnpfändung nicht umfasst, da es sich arbeits- und sozialversicherungsrechtlich nicht um „Arbeitslohn“ oder „Arbeitsentgelt“ handelt. Die steuerrechtliche Einordnung der EPP als Arbeitslohn ist insoweit unbeachtlich.“). Ferner wird angegeben, dass die EPP bei einkommensabhängigen Sozialleistungen nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist, da die EPP ebenfalls eine staatliche Sozialleistung darstellt.

Die Zusatzkosten für Energie treffen jeden, aber nicht alle Anspruchsberechtigten in gleichem Maße. Die Pauschalisierung übergeht das. Sie dürfte daher wohl eine allgemeine, von den Umständen des Einzelfalls losgelöste Sonderhilfe zur Bewältigung der drastisch gestiegenen Kosten sein. Bei dieser sozialpolitischen Funktion liegen Parallelen zu anderen sozial motivierten Ausnahmen von der Pfändbarkeit (Pfändungsfreibeträge) nahe – sie sind aber leider vom Gesetzgeber hier nicht formuliert worden. Der Bezug zum Steuerrecht (Einkommensteuer) lässt eher vermuten, sie sei ähnlich wie eine (pfändbare) Steuerrückerstattung.

Die Experten diskutieren, ob der Pfändbarkeit ggf. die bestehenden zwangsvollstreckungsrechtlichen Regelungen entgegenstehen. Im Ergebnis geht man hier jedoch von einer Pfändbarkeit aus. Dass eine mögliche Pfändung der Energiepreispauschale bei den Empfängern zu Verstimmung führen wird, ist klar. Ob der Gesetzgeber noch einmal nachfasst, bleibt abzuwarten.

Insolvenzgeld und EPP

Grds. besteht der Anspruch auf EPP gegen den Arbeitgeber. Es gibt div. Konstellationen, in denen der Anspruch in den sog. „Insolvenzgeldzeitraum“ fällt, der drei Monate beträgt. Da erhalten die Mitarbeiter*innen des  insolventen Unternehmens jedoch keine Entgeltzahlung durch ihren Arbeitgeber, sondern meist von einer Bank via Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes.

Die Entgeltersatzleistung kommt später von der Agentur für Arbeit, auch für (Beispiel) September 2022 (Insolvenzgeldzeitraum). In dem Fall erhalten die Arbeitnehmer aber keine Auszahlung der Energiepauschale. Denn der Gesetzgeber will, dass die Arbeitgeber die Energiepauschale an die Mitarbeiter auszahlen. Arbeitgeber sollen von der für jeden einzelnen Arbeitnehmer für den Monat August 2022 an das Finanzamt abzuführende Einkommensteuer 300 € (abzüglich der hierauf entfallenden Steuern) einbehalten. Dieses einbehaltene Geld sollen die Arbeitgeber dann im Folgemonat, dem September 2022, an die Mitarbeiter als Energiepauschale auszahlen.

Das heißt: In der vorläufigen Insolvenz zahlt die Schuldnerin/Arbeitgeber für den Monat August keine Arbeitsentgelte, dann kann der Arbeitgeber auch keine Einkommensteuer einbehalten. Folglich kann der AG im September auch nichts (Einbehaltenes) auszahlen.

Die Bundeagentur für Arbeit (BA) ist nicht „Ersatzzahler“. Die BA gewährt Netto-Entgeltersatzleistung, aber keine Energiepauschale. Daher kann die EPP auch nicht über das vorfinanzierte Insolvenzgeld ausgezahlt werden. Das ist auch logisch, denn die BA hat vorher auch keine Steuern zur Finanzierung der Pauschale einbehalten.

Gehen Arbeitnehmer*innen in der Insolvenz wegen EPP leer aus?

Nein: Falsch wäre jedenfalls die Behauptung „ich Arbeitnehmer eines insolventen Unternehmens bekomme keine Energiepreispauschale“. Richtig ist, dass jeder AN eine tatsächliche Begünstigung genießt. Denn alle Arbeitnehmer erhalten die Energiepauschale, bei Insolvenzgeldbezug aber (leider) erst im nächsten Jahr.

Die Begünstigung erfolgt durch Steuerbescheid, der eine vorherige Steuererklärung voraussetzt. Da die betroffenen Arbeitnehmer aufgrund des Insolvenzgeldbezuges (wegen des Progressionsvorbehalts) sowieso eine Steuererklärung abgeben müssen, dürfte das wenig Mehraufwand sein. Das zuständige Wohnsitz-Finanzamt (FA) kann anhand der AN-Angaben feststellen, dass von der Einkommensteuer in 2022 tatsächlich nichts einbehalten wurde. Der AN war in 2022 also ohne Energiepauschale.

Das FA zieht dann wohl den Betrag der Energiepauschale von der rechnerischen Steuerlast ab. Der AN hat per Saldo auch € 300,00 zusätzlichen Ertrag, besser gesagt, weniger Steuer. Das ist alles recht kompliziert. Es sind halt keine einfachen Zeiten.

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