(Fast) ein Jahr SanInsFOG und StaRUG und erste Erfahrungen
17. Dezember 2021Insolvenzsysteme WHOA, Scheme of Arrangement und Schutzschirm seit 01.01.2021 im Wettbewerb
Nach dem „Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG) aus 2013 ist das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFOG) zum 01.01.2021 die nächste „große Sanierungsreform“. Das SanInsFOG beinhaltet neben dem „Unternehmensstabilisierungs- und –restrukturierungsgesetz“ (StaRUG) weitreichende gesetzliche Anpassungen im Bereich der InsO und des COVInsAG. Die Restrukturierungsmaßnahmen nach dem dt. „Schutzschirm“ gemäß § 270d InsO und der präventive Restrukturierungsrahmen nach StaRUG sind inzwischen im offensiven Wettbewerb mit dem englischen „Scheme-of-Arrangement“ und dem niederländischen „Wet Homologatie Onderhands Akkoord“ (WHOA).
1. Erste Erfahrungen mit dem präventiven Restrukturierungsrahmen seit 01.01.2021
Der präventive Restrukturierungsrahmen ist das Kernstück des StaRUG, aber es wurde in 2021 eher selten angewandt. Es handelt sich um ein (vorinsolvenzliches) gerichtsarm ausgestaltetes Sanierungsinstrument. Strukturell siedelt sich der Restrukturierungsrahmen zwischen dem Insolvenzplanverfahren, welches ebenso einer Mehrheitsentscheidung der Gläubiger bedarf und der außergerichtlichen Sanierung, die nur im Konsens aller Gläubiger erfolgen kann, an.
Der Restrukturierungsrahmen steht allen Unternehmen offen, die „nur“ drohend zahlungsunfähig i.S.v. § 18 InsO sind. Eine drohende Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Das SanInsFOG bestimmt den Prognosezeitraum auf regelmäßig 24 Monate.
Das Restrukturierungsvorhaben wird maßgeblich durch den Restrukturierungsplan (§§ 4 ff. StaRUG) geprägt, wobei die Planinitiative vom Schuldner ausgehen muss. Dieser hat das Restrukturierungsvorhaben gem. § 17 Abs. 1 StaRUG nach Maßgabe des vorgelegten Plans durch eigenständige Verhandlungen mit seinen Gläubigern voranzutreiben. Etwaige Vollstreckungs- bzw. Verwertungssperren bedürfen jedoch einer gerichtlichen Anordnung. Zudem kann beim zuständigen Restrukturierungsgericht ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt werden, dem jedoch, anders als im Insolvenzverfahren, nur eine moderierende Aufgabe zukommt. Das Planangebot des Schuldners steht gem. § 18 StaRUG unter der Bedingung, „dass sämtliche Planbetroffene zustimmen oder der Plan gerichtlich bestätigt wird“. Um zu verhindern, dass ein Restrukturierungsvorhaben an dem Widerstand einzelner, z.T. geringfügig tangierter, Gläubiger scheitert, werden die Planbetroffenen entsprechend ihres rechtlichen Status und dem Umfang ihrer Gläubigerstellung in Gruppen eingeordnet, die dann repräsentativ an der Abstimmung über das Planangebot des Schuldners teilnehmen. Innerhalb der einzelnen Gruppen genügt gem. § 25 Abs. 1 StaRUG zur Planzustimmung eine qualifizierte Gläubigermehrheit von 75 Prozent.
Als erstes Fazit für 2021 kann gesagt werden, dass die Umsetzung der EU-Richtlinie richtig war und bleibt, der Restrukturierungsrahmen aber für kleinere Mittelständler oder Einzelunternehmer zu komplex und damit zu teuer ist. Die bislang niedrigen Fallzahlen können ein Indiz dafür sein, dass der Gesetzgeber möglicherweise doch besser den (auf der Zielgeraden fallen gelassenen) „Shift of Duties“ eingeführt hätte. Im Entwurf war nämlich vorgesehen, dass die organschaftliche Haftung verschärft werden sollte. Vorstände und Geschäftsführer in der Unternehmenskrise hätten für Fehlverhalten künftig nicht mehr (nur) gegenüber ihrer Gesellschaft, sondern unmittelbar gegenüber betroffenen Gläubigern haften sollen; aber das führte eben nicht in das StaRUG. Und damit entfiel auch der Anreiz, evtl. besonders früh in ein StaRUG-Verfahren zu gehen, um für die Geschäftsleitung persönliche Haftung gegenüber Dritten zu vermeiden.
2. Bewertung der Neufassung der Insolvenzgründe
Durch das StaRUG erhält der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) eine neue Relevanz. Dieser Tatbestand ist von dem der Überschuldung (§ 19 InsO) abzugrenzen. Die Tatbestände haben mit 24 bzw. 12 Monaten unterschiedlich lange Prognosezeiträume. Der drohenden Zahlungsunfähigkeit, die zwar das Recht zur Stellung eines Insolvenzantrags begründet, nicht jedoch die Pflicht hierzu, wurde ein Prognosezeitraum hinzugefügt, welcher sich regelmäßig auf 24 Monate beläuft. Um Überschneidungen mit der Überschuldung zu verhindern, die eine Insolvenzantragspflicht begründet, wurde der für die Fortführungsprognose dort maßgebliche Zeitraum auf 12 Monate reduziert.
Unverändert bleibt die Pflicht, den Insolvenzantrag „ohne schuldhaftes Zögern“ zu stellen. Demgegenüber wurde die „Höchstfrist“, die sich bislang, ebenso wie bei der Zahlungsunfähigkeit, auf drei Wochen belief, auf sechs Wochen verlängert, § 15a Abs. 1 S. 2 InsO. Zu beachten ist, dass eine Ausreizung dieser Frist nur zulässig ist, wenn die realistische Chance besteht, die Überschuldung innerhalb von sechs Wochen abzuwenden. Anderenfalls ist bereits vor „Fristablauf“ unverzüglich ein Insolvenzantrag zu stellen.
3. NEU: Zahlungsverbote nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, § 15 b InsO
Die Insolvenzverschleppungshaftung des § 823 Abs. 2 i.V.m. § 15a InsO ist für jeden Geschäftsleiter wichtig und mitunter gefährlich. Im Wege des SanInsFOG wurden spezialgesetzlich verstreuten Zahlungsverbote ebenso wie die Ersatzpflicht im Falle eines Verstoßes in Form des § 15b InsO einheitlich und zentral geregelt. Wenngleich die jüngere Rechtsprechung des BGH die Position des Geschäftsleiters stärkt, birgt eine Betriebsfortführung in der Krise dennoch ein hohes Risiko. Zahlungen, vor allem auf – ungesicherte – Dienstleistungen müssen stets genau überlegt werden. Einzelne Zahlungen könnten trotz Insolvenzreife nach § 15b „privilegiert“ sein. Es kommt auf den Einzelfall an. Die bisherige BGH Rechtsprechung zum „Sorgfaltsmaßstab“ ist durch die Neueinführung des § 15 b InsO nicht obsolet geworden, sondern sie findet sich im § 15b wieder.
Während der Insolvenzantragsfrist des § 15 a Abs. 1 S. 1 InsO gilt die Zahlungsprivilegierung gem. § 15 b Abs. 2 S. 2 InsO nur, wenn parallel dazu Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters getätigt werden. Eine solche Maßnahme könnte beispielsweise die Beauftragung eines Steuerberaters oder Rechtsanwalts sein. An der Regelung des § 15 b Abs. 2 S. 2 InsO lässt sich die allgemeine Intention des Gesetzgebers erkennen. Im Vordergrund steht die Entschärfung der Geschäftsführerhaftung, die jedoch mit Blick auf die ihr entgegenstehenden berechtigen Drittinteressen einer Einschränkung bedarf. Der Gesetzgeber belässt dem Geschäftsführer auch in diesem schon weit fortgeschrittenen Stadium der Unternehmenskrise die operative Handlungsfähigkeit. Damit geht er ein hohes Risiko zulasten der Gläubiger ein. Zur Eindämmung dieses Risiko wird von dem Geschäftsführer eine besondere Sanierungsbereitschaft erwartet.
Die früher spezialgesetzlich geregelte Erstattungspflicht im Falle einer unzulässigen Zahlung der Geschäftsführung findet sich nunmehr in § 15 b Abs. 4 S. 1 InsO wieder. Sie wurde ebenfalls zwecks Schaffung von Rechtssicherheit und Transparenz näher konkretisiert. Im Gegensatz zu den alten spezialgesetzlich geregelten Erstattungspflichten regelt § 15 b Abs. 4 S. 2 InsO auch den in der Praxis sehr bedeutsamen Fall einer Zahlung, die zwar für die Gläubiger verwertbar ist, deren Gegenwert aber nicht äquivalent ist. Dies begründet keine vollumfängliche, sondern nur eine partielle auf den Differenzbetrag beschränkte Schadensausgleichspflicht. Auffällig ist hier insbesondere die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung. Ebenso wie in § 130 a HGB a.F. und anders als im § 64 GmbHG a.F. spricht der Gesetzgeber von einem „Schaden“. Dies suggeriert, dass der Erstattungsanspruch nunmehr als Schadensersatzanspruch zu klassifizieren ist, sodass er einer D&O Versicherung unterfällt. Dies wird mit Blick auf die Haftung des Geschäftsleiters im (vorläufigen) Eigenverwaltungsverfahren gem. § 276 a Abs. 2, Abs. 3 InsO untermauert.
4. Fazit und Ausblick
Das ESUG zum 01.01.2013 und das StaRUG zum 01.01.2021 brachten jeweils eine Fülle von Neuerungen, Möglichkeiten und Klarstellungen für Unternehmer, Gesellschafter und Geschäftsleiter. Das Insolvenzrecht wurde auch in 2021 fortentwickelt, vor allem, weil ab 2021 eine Sanierung via Restrukturierungsrahmen möglich ist. Das wurde in der Praxis bisher aber eher selten eingesetzt, weil das Verfahren recht komplex und teuer ist.
Die bisherigen Möglichkeiten eines Insolvenzplans – mit oder ohne Eigenverwaltung – bleiben erhalten, so dass es für den sanierungswilligen Unternehmen ausreichend Alternativen gibt. In jedem Fall bedarf es profunder Überlegungen des Unternehmers und eines erfahrenen „Lotsen“ im – nicht ungefährlichen – Fahrwasser einer Krise.