Krisenfrüherkennung – Die neue (alte) Pflicht für Geschäftsführer
11. November 2021Zum 01.01.2021 trat – im Rahmen des SanInsFoG (Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts) – das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierung- und –restrukturierungsgesetz – StaRUG) in Kraft. Damit setzte der Gesetzgeber die Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen etc. um. Der Gesetzgeber hat dabei erstmals rechtsformübergreifend eine Pflicht für Geschäftsführer von haftungsbeschränkten Unternehmensträgern (Geschäftsleiter) zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement herausgearbeitet und kodifiziert.
Anerkanntermaßen entstehen Unternehmenskrisen in der Regel nicht „plötzlich“, sondern entwickeln sich häufig schleichend über einen langen Zeitraum. Durch zu spätes Erkennen einer fortschreitenden Krise und (falsches) Zuwarten oder (ebenso evtl. falsches) Handeln können eine akute Existenzgefährdung für das Unternehmen, damit verbundene Nachteile für die Gläubiger sowie umfangreiche Haftungsgefahren für die Geschäftsleiter drohen. Dem kann und soll durch frühzeitiges Erkennen einer Krise und ein entsprechend rechtzeitiges Krisenmanagement entgegengewirkt werden – im besten Fall bereits präventiv vor Entstehung einer existenzgefährdenden Krise.
Im Zeitablauf von Unternehmenskrisen kann zwischen etwa sechs Krisenstadien unterschieden werden:
- der Stakeholder Krise,
- der Strategiekrise,
- der Produkt- und Absatzkrise,
- der Ertragskrise,
- der Liquiditätskrise und schließlich
- der existentiellen Krise, somit der Feststellung der Insolvenzreife.
Um Risiken entgegenzuwirken, hatte der Gesetzgeber bereits 1998 mit dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) im AktG ein Krisenfrüherkennungssystem eingeführt. Demnach hat der Vorstand einer Aktiengesellschaft geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass der Gesetzgeber dabei eine Bestandsgefährdung für das Unternehmen insbesondere bei risikobehafteten Geschäften, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung und Verstößen gegen gesetzliche Vorschriften annahm, welche wesentliche negative Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage der Gesellschaft haben. Ziel des Gesetzgebers war es, dass derartige negative Entwicklungen und potentielle Risiken so frühzeitig erkannt werden, dass noch rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen zur Beseitigung der Krise und zum Fortbestand des Unternehmens ergriffen werden und somit eine Insolvenz letztlich vermieden werden sollte.
Neben der Pflicht zur Einführung eines Krisenfrüherkennungssystems aus § 91 Abs. 2 AktG finden sich weitere spezialgesetzlich normierte Risikomanagementsysteme, so z.B. in § 25a Abs. 1 KWG, § 80 Abs. 1 WpHG oder auch in § 26 VAG. Zudem sind die §§ 15a ff. InsO zu beachten.
Rechtslage seit Einführung des StaRUG
Nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 der von den Mitgliedsstaaten umzusetzenden EU Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz musste sichergestellt werden, dass Schuldner Zugang zu einem oder mehreren klaren und transparenten Frühwarnsystemen haben, die Umstände erkennen können, die zu einer wahrscheinlichen Insolvenz führen können und ihnen signalisieren können, dass unverzüglich gehandelt werden muss. Zur Förderung der präventiven Restrukturierung sollten Geschäftsleiter daher angehalten werden, frühzeitig vertretbare Geschäftsentscheidungen zu treffen oder vertretbare wirtschaftliche Risiken einzugehen, vor allem wenn dadurch die Aussichten auf eine Restrukturierung verbessert, Verluste möglichst gering gehalten und eine Insolvenz im Ergebnis abgewendet werden kann.
In der Umsetzung vorerwähnter Richtlinie hat der Gesetzgeber mit dem am 01.01.2021 in Kraft getretenen Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierung- und –restrukturierungsgesetz – StaRUG) nunmehr erstmals rechtsformübergreifend eine allgemeine Pflicht für Geschäftsführer von haftungsbeschränkten Unternehmensträgern zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement geschaffen.
Nach § 1 Abs. 1 S. 1 StaRUG besteht eine allgemeine Pflicht für die Geschäftsleiter einer juristischen Person, fortlaufend über Entwicklungen zu wachen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass aufgrund der bereits bestehenden Risikoüberwachungspflicht aus § 91 Abs. 2 AktG und dessen „Ausstrahlungswirkung“ auch für die Geschäftsleitungsorgane von Unternehmensträgern anderer Rechtsformen, die neue Vorschrift in § 1 Abs. 1 S. 1 StaRUG lediglich im Interesse an Rechtsklarheit eine klarstellende Wirkung bzgl. der Mindestanforderungen habe.
Tatsächlich wird jedoch nur das „Ob“, nicht aber das „Wie“ geregelt. § 101 StaRUG verweist diesbezüglich lediglich auf die Webseite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und die durch öffentliche Stellen dort bereitgestellten Instrumentarien zur frühzeitigen Identifizierung von Krisen.
Grundsätzlich ist anzunehmen, dass ein Krisenfrüherkennungssystem (KFS) nach § 91 Abs. 2 AktG bzw. nach den Grundsätzen des IDW PS 340 n.F. zugleich die Anforderungen des § 1 Abs. 1 StaRUG erfüllt. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen dürften damit jedoch organisatorisch erheblich überfrachtet werden, was nicht im Sinne des Gesetzgebers ist.
Im Allgemeinen lassen sich daher die Voraussetzungen für bzw. die Anforderungen an ein Krisenfrüherkennungssystem wie folgt zusammenfassen:
- Das RFS muss bestandsgefährdende Entwicklungen, nachteilige Veränderungen sowie potentielle Risiken und Krisensignale für das Unternehmen frühzeitig erkennen können.
- Die wirtschaftliche und finanzielle Situation des Unternehmens muss mit einem Prognosezeitraum von 24 Monaten (vgl. § 18 Abs. 2 S. 2 InsO) laufend überwacht werden.
- Es sind eindeutige Zuständigkeiten in die Organisationsstruktur des Unternehmens zu implementieren, um ein regelmäßiges und engmaschiges Reporting in Bezug auf Krisensignale aus den einzelnen Unternehmensbereichen an die Geschäftsleitung gewährleisten zu können.
- Sämtliche Maßnahmen sind zu dokumentieren.
Die Ausformung und die Reichweite der konkreten Maßnahmen sind – wie dargestellt – im Einzelfall von der Größe, Branche, Struktur und auch der Rechtsform des jeweiligen Unternehmens abhängig.
Jedenfalls ist – im Gegensatz zu der operativen Krisenfrüherkennung – im Rahmen einer strategischen und zukunftsorientierten Krisenfrüherkennung eine Methodik zur Erkennung von Krisensignalen und deren Bewertung zu entwickeln. Es muss sichergestellt werden, dass ein laufendes und dokumentiertes Reporting aus allen Bereichen des Unternehmens in Bezug auf mögliche Krisensignale und Risikoentwicklungen an den Geschäftsleiter erfolgt, damit auch schwache Krisensignale und Umweltveränderungen als Informationsgrundlage für die Entscheidungen des Geschäftsleiters einbezogen werden können.
Unter dem Strich umfasst das erforderliche Maßnahmenmanagement die strategische Neuausrichtung sowie die operative und finanzielle Restrukturierung des Unternehmens. Der Fokus liegt dabei auf der finanziellen Restrukturierung, insbesondere der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit. Sämtliche Maßnahmen müssen dabei in einer integrierten Businessplanung berücksichtigt werden. Schließlich müssen die Maßnahmen möglichst kurzfristig und vor allem rechtzeitig umgesetzt, dokumentiert und überwacht werden, um den Weg in eine erfolgreiche und profitable Zukunft zu finden. Zentrales Element ist dabei eine offene und faktenbasierte Kommunikation mit den beteiligten Stakeholdern, um verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen.
Als alternative Maßnahmen bietet das StaRUG seit dem 01.01.2021 zur Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens an.
Fazit
Mit Inkrafttreten des StraRUG wurde erstmals rechtsformübergreifend eine allgemeine Pflicht für Geschäftsleiter von haftungsbeschränkten Unternehmensträgern zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement geschaffen. Sinn und Zweck der Regelungen soll es sein, dass Geschäftsleiter bereits in einem möglichst frühen Krisenstadium vorhandene Krisensignale erkennen, Krisenursachen feststellen und dadurch entsprechend frühzeitig geeignete Gegenmaßnahmen einleiten können, um eine spätere Ergebnis- bzw. Liquiditätskrise oder sogar eine Insolvenz abwenden zu können.
Obwohl die Pflicht zur Implementierung eines Krisenfrüherkennungssystems nicht neu ist, wird ein solches in der Praxis bislang nur in wenigen Fällen auch angemessen eingesetzt. Die skizzierten Mindestanforderungen sollten indes von jedem Geschäftsleiter leicht, kostengünstig und schnell umzusetzen sein, um auch die Anforderungen des § 1 StaRUG zu erfüllen. Verstoßen Geschäftsleiter gegen diese Sorgfaltspflicht zur Implementierung eines Krisenfrüherkennungssystems (KFS) oder gegen die Pflicht zum Krisenmanagement, so drohen persönliche Schadensersatzansprüche gegenüber der Gesellschaft bzw. der Insolvenzmasse. Festzuhalten bleibt aber auch, dass trotz Streichung der §§ 2, 3 Starug-RegE gerade in der Krise und vor allem ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit für die Geschäftsleiter erhebliche Unsicherheiten und Risiken in Bezug auf mögliche Haftungsrisiken bestehen. Insbesondere für den Fall einer Nichtberücksichtigung der Gläubigerinteressen ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung die Lehre vom „shift of duties“ zukünftig bewerten wird.
Geschäftsleiter sollten daher genau prüfen, wie die Pflichten aus § 1 StaRUG im Unternehmen umgesetzt werden können. Im Zweifel ist zu empfehlen, entsprechende Unterstützung eines kundigen Experten in Anspruch zu nehmen, denn mit voranschreitender Krise steigen die Anforderungen an ein pflichtgemäßes Krisenmanagement. Schließlich ist zu empfehlen, bei ersten Krisenanzeichen aktiv zu werden und sämtliche durchgeführte Maßnahmen, sowohl für den Bereich der Krisenfrüherkennung als auch für das Krisenmanagement, umfassend zu dokumentieren.